Dezember 2023
- Dezember 2023
Arbeitsrecht
Bundesarbeitsgericht: Kündigung wegen Äußerung in einer Chatgruppe
Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine daraus folgende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Chatgruppe mehrerer Arbeitnehmer
Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise u. a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.
Gerichte unterschiedlicher Meinung: Bundesarbeitsgericht spricht Machtwort
Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG jedoch Erfolg. Die Vertraulichkeitserwartung des Klägers in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Äußerungen war nicht berechtigt. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit geben, darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.
Quelle | BAG, Urteil vom 24.8.2023, 2 AZR 17/23, PM 33/23
Kündigung: Doppelt riskant: Schwimmen während des Betriebsfestes
Schwimmen im Rhein während einer Firmenfeier ist wegen der potenziellen Eigen- und Fremdgefährdung eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf.
Das war geschehen
Der Arbeitnehmer ist seit dem 1.1.2021 als Trainee bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Dieser veranstaltete im Spätsommer 2022 eine Betriebsfeier auf einem Restaurant- und Partyschiff am Kölner Rheinufer. Nach 22.00 Uhr soll der Arbeitnehmer auf der Toilette von einer Reinigungskraft beim Konsumieren eines weißen Pulvers beobachtet worden sein. Danach sei er vom Schiff gegangen und in den Rhein gesprungen. Er sei um das Schiff herumgeschwommen und wild gestikulierend und nur mit einer Unterhose bekleidet über das Boot an den versammelten Mitarbeitern vorbei zum Ausgang gelaufen. Wieder angekleidet und vom Arbeitgeber zur Rede gestellt, habe er nur erklärt, Spaß haben zu wollen. Einen Drogenkonsum bestritt er.
Der Arbeitgeber wirft ihm vor, er habe mit seinem Verhalten massiv den Betriebsfrieden gestört. Er habe sich selbst und andere erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die Strömung im Rhein sei an der Anlegestelle sehr stark und es herrsche dort reger Schiffsverkehr. Die Stimmung auf der Feier sei nach dem Zwischenfall jäh gekippt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats fristlos. Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, die Betriebsratsanhörung sei unwirksam, denn dem Gremium sei fälschlich mitgeteilt worden, dass er „unbekleidet“ in den Rhein gesprungen sei. Das Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf erklärte die Kündigung für unwirksam.
Landesarbeitsgericht: Vorherige Abmahnung fehlte
Das LAG wäre zum gleichen Ergebnis wie das ArbG gekommen. Es teilte die Argumentation des ArbG zur fehlerhaften Betriebsratsanhörung zwar nicht und sah in dem Verhalten des Arbeitnehmers eine Pflichtverletzung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis. Er habe sich selbst aufgrund der Strömungen und des Schiffsverkehrs in Lebensgefahr begeben und potenziell Dritte gefährdet, die zum Helfen hätten veranlasst werden können. Die Kündigung scheitere aber an der fehlenden vorherigen Abmahnung. Diese sei auch nicht entbehrlich gewesen.
Der vom Arbeitgeber gestellte Auflösungsantrag sei erfolglos. Zwar habe der Arbeitnehmer auf einer Firmenveranstaltung im Juni 2022 mit einem lebensgroßen Deko-Plastik-Flamingo getanzt, sei mit diesem zu einem Bildautomaten gefahren und habe Selfies gemacht. Für dieses Verhalten sei er aber nur ermahnt worden.
So endete das Verfahren
Auf Vorschlag des LAG verständigten die Parteien sich: Das Arbeitsverhältnis wird fortgesetzt, der Arbeitnehmer tritt seinen Dienst wieder an. Der Arbeitgeber erteilt dem Arbeitnehmer eine Abmahnung wegen Störung des Betriebsfriedens, die der Arbeitnehmer akzeptiert.
Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2023, 3 Sa 211/23
Kündigung: Wenn der Kirchenmusiker die Trauerfeier versäumt …
Die Gemeinde hatte den Termin für eine Trauerfeier mit einem Kirchenmusiker abgestimmt und ihn dann absprachegemäß angesetzt. Der Kirchenmusiker kümmerte sich jedoch stattdessen um ein Kindermusical und erschien nicht. Die Gemeinde kündigte ihm daraufhin fristlos. Doch das war unzulässig, so das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck.
Versäumter Termin nicht das einzige Fehlverhalten
Der Kirchenmusiker wandte z. B. ein: Dass der Pfarrer die Musikauswahl auf seinen Anrufbeantworter gesprochen habe, habe er nicht mitbekommen. Er habe so viel zu tun, dass er diesen kaum noch abhöre. Er habe sich so sehr um das – nicht von der Gemeinde beauftragte – Musical gekümmert, dass er seinen Kalender kaum mehr beachtet habe. Am Tag der Trauerfeier habe er weder Anrufe des Pfarrers noch des Beerdigungsunternehmens angenommen. Der Mann war jedoch nicht „unbescholten“: Wegen anderer Vorfälle hatte er bereits drei Abmahnungen „kassiert“ – und das innerhalb weniger Monate. Aus der Sicht der Gemeinde war die Sache daher klar: Sie kündigte dem Kirchenmusiker fristlos.
Kein wichtiger Grund für eine Kündigung
Das ArbG: Es liegt kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 626 Abs. 1 BGB) für die fristlose Kündigung vor. Der Musiker habe seine Arbeit nicht beharrlich und vorsätzlich verweigert. Dass er sich erst spät und dies auch nur per E-Mail entschuldigt habe, belege keinen Vorsatz.
Die Gemeinde hätte den Musiker auch zunächst abmahnen müssen. Der 61-Jährige war bereits seit 15 Jahren bei der Gemeinde angestellt. Es sei daher zu erwarten, dass er sein Verhalten künftig ändere.
Das ArbG: Die lange Beschäftigungsdauer führte auch zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung entsprechend dem Tarifvertrag kirchlicher Arbeitnehmer (hier: § 27 Abs. 3 KAT).
Quelle | ArbG Lübeck, Urteil vom 15.6.2023, 1 Ca 323 öD/23
Baurecht
Betriebserlaubnis: Schon ansässiges erlaubtes Glücksspielangebot in einem Gebäudekomplex ist privilegiert
Die Ansiedlung von Stellen zur Vermittlung von Sportwetten in einem Gebäudekomplex, in dem sich bereits eine glücksspielrechtlich erlaubte Spielhalle oder Spielbank befindet, ist unzulässig. Dies hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf mit zwei Urteilen entschieden und damit die Klagen einer Veranstalterin von Sportwetten und einer Wettvermittlerin abgewiesen.
Wenn Spielhalle oder Spielbank vorhanden ist, sind keine Sportwetten möglich
Seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 dürfen konzessionierte Wettveranstalter in Deutschland Sportwetten über stationäre Wettvermittlungsstellen anbieten. Für den Betrieb einer stationären Wettvermittlungsstelle bedarf es einer Erlaubnis. Gesetzlich vorgesehen ist zudem, dass in einem Gebäude oder Gebäudekomplex, in dem sich eine Spielhalle oder eine Spielbank befindet, Sportwetten nicht vermittelt werden dürfen.
Trennungsgebot
Unter Berufung auf dieses sog. Trennungsgebot lehnte die Bezirksregierung Düsseldorf den Antrag einer Wettveranstalterin und einer Wettvermittlerin auf Erteilung einer Betriebserlaubnis in Mülheim/Ruhr ab. Das VG hat diese Bescheide in ihren Urteilen bestätigt und ausgeführt: Das Trennungsgebot begründet grundsätzlich keine einseitige Privilegierung von Spielhallen bzw. Spielbanken gegenüber Wettvermittlungsstellen.
Vielmehr setzt sich im Fall des Zusammentreffens der unterschiedlichen Glücksspielangebote in einem Gebäude oder Gebäudekomplex regelmäßig das am jeweiligen Standort bereits ansässige glücksspielrechtlich erlaubte Spielangebot gegenüber der hinzutretenden Glücksspielstätte durch, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Spielhalle bzw. Spielbank oder eine Wettvermittlungsstelle handelt.
Gemeinwohl überwiegt
Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen das Trennungsgebot bestehen nicht. Denn das Gemeinwohlziel, einem übermäßigen Spieltrieb zu begegnen, indem der unmittelbare Kontakt zwischen den verschiedenen Glücksspielarten in räumlicher Nähe vermieden wird, ist von überragender Bedeutung. Demgegenüber tritt der Eingriff in die Rechte von Wettveranstaltern und Wettvermittlern zurück.
Gegen die Urteile kann jeweils die Zulassung der Berufung beantragt werden, über die das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 4.10.2023, 3 K 7177/21 und 3 K 7178/21, PM vom 4.10.2023
Familien- und Erbrecht
Schadenersatz: Fortdauernde Unterbringung in einem Kinderheim
Die Fremdunterbringung eines Kindes wegen seiner Belastung durch den zwischen seinen getrenntlebenden Eltern schwelenden Sorgerechtsstreit ist regelmäßig unverhältnismäßig. Wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sprach das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zu.
Das war geschehen
Der Kläger nimmt die beklagte Stadt Frankfurt am Main auf Schadenersatz wegen seiner Unterbringung in einem Kinderheim in Anspruch. Seine getrenntlebenden Eltern stritten über das Sorgerecht. Der damals Sechsjährige lebte bei seiner Mutter und hatte regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Vater informierte das Jugendamt, dass der Kläger ihm mitgeteilt habe, von der Mutter geschlagen worden zu sein; das Jugendamt erhielt auch ein entsprechendes ärztliches Attest. Daraufhin nahm das Jugendamt den Kläger in Obhut und brachte den Kläger in einem Kinderheim unter. Das Familiengericht übertrug dem Jugendamt das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die Eltern widerriefen knapp drei Wochen nach der Unterbringung ihre zunächst erteilte Zustimmung. Knapp vier Monate später wurde der familiengerichtliche Beschluss vorläufig ausgesetzt und der Kläger kehrte zu seiner Mutter zurück. Nachfolgend hob das OLG im Sorgerechtsverfahren den Beschluss auf und übertrug das Sorgerecht auf den Vater. Dort lebt der Kläger seitdem. Der Kläger begehrte Entschädigung wegen der erlittenen Trennung von seinen Eltern.
Erfolg in der höheren Instanz
Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Die Stadt als Trägerin des Jugendamts wurde verurteilt, wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts an den Kläger 3.000 Euro zu zahlen und für künftige Schäden einzustehen.
Anfängliche Inobhutnahme war rechtens…
Zur Begründung betonte das OLG zunächst, dass die anfängliche Inobhutnahme keine schuldhafte Amtspflichtverletzung dargestellt habe. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das Jugendamt den Sachverhalt unzureichend ermittelt oder durch eine fehlerhafte Antragstellung die gerichtliche Entscheidung maßgeblich beeinflusst habe. Darüber hinaus liege die Verantwortung für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein beim Familiengericht. Zum Zeitpunkt der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt hätten die Eltern der Übertragung auch zugestimmt.
… aber Fremdunterbringung war unverhältnismäßig
Pflichtwidrig habe aber die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nach Ablauf einer kurzen Zeitspanne weiterhin zugunsten einer Fremdunterbringung ausgeübt. Die Fremdunterbringung eines Kindes aus Anlass eines tiefgreifenden Elternkonfliktes sei nur dann gerechtfertigt, „wenn der permanente Elternkonflikt das Kindeswohl in hohem Maße und mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet“. Zu berücksichtigen sei dabei stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. „Die Folgen der Fremdunterbringung dürften für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie“, stellte das OLG klar.
Hier könne die Inobhutnahme und Unterbringung in einem Kinderheim – abgesehen von einer kurzen Übergangszeit – nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Kläger von seiner Mutter geschlagen wurde. Der Gefahr erneuter Misshandlungen habe vielmehr dadurch begegnet werden können, dass der Kläger bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater untergebracht wurde. Ein solcher sofortiger Ortswechsel habe mit entsprechenden Unterstützungsleistungen auch begleitet werden können.
Der heftige und langwierige Streit der Eltern über das Sorge- und Umgangsrecht rechtfertige dagegen angesichts der mit der Fremdunterbringung einhergehenden Belastungen nicht deren Fortdauer. Die ursprüngliche Herausnahme aus der Familie sei lediglich als kurzfristige Maßnahme veranlasst gewesen, in deren Verlauf eine Beruhigung eintreten sollte. Eine längere, monatelange Trennung von den Eltern habe der Kläger dagegen nicht als Entlastung von dem elterlichen Konflikt erleben können, sondern als ungerechtfertigte Folge dessen, dass er sich über die Misshandlungen durch seine Mutter beschwert habe.
Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.7.2023, 1 U 6/21
Testament: Ersatzerben trotz namentlicher Bestimmung von Schlusserben
Nennen die Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament ausschließlich bestimmte Schlusserben namentlich, schließt dies nicht aus, dass später Ersatzerben eintreten können. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden.
Zwei Kinder als Schlusserben, eines verstarb
Die Eheleute setzten sich in einem handschriftlichen Testament gegenseitig als Erben und die beiden erstehelichen Kinder der Ehefrau zu Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Dabei führten sie die beiden Kinder namentlich auf. Vor dem Schlusserbfall verstarb eines der beiden Kinder und hinterließ seinerseits ein Kind. Nach dem Tod der zunächst überlebenden Ehefrau beantragte das andere Kind der Eheleute einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der zunächst erteilt und später eingezogen wurde. Dieses Kind der Eheleute ist der Auffassung, dass durch die ausdrückliche namentliche Benennung der Schlusserben im Testament sichergestellt sein sollte, dass einzig und allein diesen beiden bzw. bei Vorversterben eines Schlusserben nur einem von ihnen allein der Nachlass zufließen sollte. Hätten die Erblasser gewollt, dass eines der Enkelkinder anstelle eines der benannten Schlusserben an dessen Stelle treten solle, hätten sie dies im Testament auch niedergeschrieben. Dem folgt das OLG Brandenburg jedoch nicht.
Oberlandesgericht: Auch Enkelkind kann erben
Das OLG: Nach einer gesetzlichen Auslegungsregel im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2069 BGB) ist das Enkelkind als Abkömmling seines als Schlusserben eingesetzten, vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle als Ersatzerbe getreten. Es ist gerade keine Anwachsung des Erbteils seines vorverstorbenen Vaters auf das überlebende Kind erfolgt.
Zuwendungen an einen Abkömmling werden durch die o. g. Vorschrift im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. § 2069 BGB ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Abkömmlinge namentlich benannt sind oder sich die Zuwendung an diese aus anderen Formulierungen ergibt. Die namentliche Benennung der Söhne als Schlusserben ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Erstreckung auf die Abkömmlinge der Bedachten dem Willen des Erblassers widerspricht.
Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2023, 3 W 41/23
Mietrecht und WEG
WEG: Entscheidung über den Abschluss einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung
Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat festgestellt: Bei einer die Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtenden anwaltlichen Vergütungsvereinbarung muss zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Eine weitergehende Delegation an den Verwalter ist – abgesehen von tatsächlich geringfügigen Vergütungsbeträgen – durch Beschluss nicht möglich.
Das war geschehen
Die Eigentümer hatten beschlossen, dem Verwalter die Befugnis zum Führen von Beschlussklagen auf Passivseite zu erteilen. Darüber hinaus durfte der Verwalter nach dem Beschluss selbst über die Auswahl eines Rechtsanwalts, den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung und die Abstimmung der Strategie entscheiden sowie darüber, ob Rechtsmittel eingelegt werden.
Entscheidungskompetenz überschritten
Das LG: Der Beschluss ist hinsichtlich der geregelten Entscheidungskompetenz des Verwalters ungültig, da er ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht. Denn bei einer Vergütungsvereinbarung müsse zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Auch wenn nicht genau dieser Aspekt in der Klagebegründung angeführt worden sei, sei doch im Kern innerhalb der Klagebegründungsfrist deutlich beanstandet worden, dass insbesondere wegen der Kostenmehrung diese Delegation auf die Verwalterin gerügt werde. Auch zum alten Recht habe nichts anderes gegolten: Jenseits der Streitwertvereinbarungen bedürfe es für eine sonstige („echte“) Vergütungsvereinbarung (mit Zeithonorar o.ä.) für eine Angelegenheit, die den Verband betreffe, eines Beschlusses der Wohnungseigentümer. Damit dieser den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspreche, müssten (nach altem und neuem Recht) besondere Gründe vorliegen.
Ein praktischer Bedarf für Vergütungsvereinbarungen bestehe in der Regel in WEG-Sachen nicht. Hinzu komme, dass nur bei einer Abrechnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gewährleistet sei, dass im Obsiegensfall alle Kosten vom Gegner im Rahmen der Kostenfestsetzung erlangt werden können. Bei einer Abrechnung außerhalb des gesetzlichen Preisrechts würde sich selbst bei der Beauftragung eines Freiberuflers außerdem die Frage stellen, ob Vergleichsangebote anderer Anbieter einzuholen seien. Als besonderer Grund, der ausnahmsweise eine Vergütungsvereinbarung rechtfertigen könne (und ggf. zugleich auch die Einholung von Vergleichsangeboten entbehrlich mache), komme eine besondere fachliche Qualifikation des Rechtsanwalts, ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm oder eine Vorbeauftragung in einer mit dem vermeintlichen Anspruch tatsächlich zusammenhängenden Angelegenheit in Betracht. Diese Gründe müssten der Ermessensentscheidung der Eigentümerversammlung zugrunde liegen und könnten auch im Beschlusstext benannt werden; jedenfalls müsse der zu beauftragende Rechtsanwalt aus dem Beschlusstext erkennbar sein. Denn insoweit bestehe ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen seiner Person und den Gründen für eine Vergütungsvereinbarung.
Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 4.9.2023, 11 S 68/22
Verbraucherrecht
Haftungsfrage: Hund gerettet und auf Schaden sitzengeblieben
Wer seinen Hund aus einer Rauferei rettet, handelt auf eigene Gefahr. Für Schäden muss man zum großen Teil selbst aufkommen, entschied jetzt das Landgericht (LG) Lübeck.
Ein Mann führte seinen Schäferhund spazieren. Eine andere Hundehalterin ging mit ihrem Labrador Gassi. Die Hunde begegneten sich, es kam zur Rauferei. Der Mann wollte die Hunde trennen und ging dazwischen. Er trat einen Hund, kam zu Fall und wurde verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte.
Vor dem LG verlangte der Mann Schadenersatz. Seine Begründung: Der Labrador habe knurrend und im Galopp einen Angriff gestartet. Die Hundehalterin entgegnete: Zu Beginn hätten die Hunde spielend gerauft. Durch das Eingreifen des Mannes sei die Situation eskaliert.
Musste die Hundehalterin für die Schäden aufkommen? Nur zum Teil, entschied das LG. Die Hundehalterin sei zwar verantwortlich für ihren Hund. Der Mann habe zu seinen Verletzungen aber selbst beigetragen. Als er versuchte, die Hunde zu trennen, habe er sich selbst in Gefahr gebracht. Das Gericht habe nicht sicher feststellen können, ob dieses Verhalten unbedingt notwendig war. Für Dreiviertel der Schäden könne der Mann daher keinen Ersatz verlangen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 9.8.2023, 5 O 146/22, PM vom 22.8.2023
Auskunftsanspruch: Ein Patient hat das Recht, unentgeltlich eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten
Ein Patient verlangte von seiner Zahnärztin eine Kopie seiner Patientenakte, um gegen sie Haftungsansprüche wegen Fehlern geltend zu machen, die ihr bei seiner zahnärztlichen Behandlung unterlaufen sein sollen. Die Zahnärztin forderte jedoch, dass er, wie nach deutschem Recht vorgesehen, die Kosten für die Zurverfügungstellung der Kopie der Patientenakte übernimmt. „Das geht nicht“, stellte nun der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fest.
Bundesgerichtshof rief Europäischen Gerichtshof an
Da der Patient der Ansicht ist, Anspruch auf eine unentgeltliche Kopie zu haben, rief er die deutschen Gerichte an. Unter diesen Umständen hatte der Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Denn nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, nämlich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), ab.
Erste Kopie muss kostenlos sein
In seinem Urteil sagt der EuGH: In der DSGVO ist das Recht des Patienten verankert, eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten, und zwar grundsätzlich, ohne dass ihm hierdurch Kosten entstehen. Der Verantwortliche kann ein solches Entgelt nur verlangen, wenn der Patient eine erste Kopie seiner Daten bereits unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag auf diese stellt.
Patient muss seinen Wunsch nicht begründen
Die betreffende Zahnärztin ist als Verantwortliche für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihres Patienten anzusehen. Als solche ist sie verpflichtet, ihm eine erste Kopie seiner Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Patient ist nicht verpflichtet, seinen Antrag zu begründen.
Umfassende Auskunft
Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden dürfen die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen. Des Weiteren hat der Patient das Recht, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in seiner Patientenakte befinden, wenn dies zum Verständnis der in diesen Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten erforderlich ist. Dies schließt Daten aus der Patientenakte ein, die Informationen, wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.
Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-307/22, PM 161/23
Zusammenrechnung: Frühere Erwerbe: Festgestellter Grundstückswert ist auch für künftige Schenkungen bindend
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass ein für Zwecke der Schenkungsteuer gesondert festgestellter Grundbesitzwert für alle Schenkungsteuerbescheide bindend ist, bei denen er in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt. Das gilt auch für die Berücksichtigung früherer Erwerbe nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (hier: § 14 Abs. 1 ErbStG), d. h. bei einer Schenkung, die innerhalb von zehn Jahren nach der ersten Schenkung erfolgt.
Das war geschehen
Der Vater hatte seinem Sohn im Jahr 2012 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück ge-schenkt. Das Finanzamt hatte den Grundbesitzwert festgestellt und der Besteuerung zugrunde gelegt. Schenkungsteuer fiel aber nicht an, weil der Grundstückswert (87.392 Euro) unter dem Freibetrag für Kinder (400.000 Euro) lag.
2017 erhielt der Sohn vom Vater eine weitere Schenkung i. H. von 400.000 Euro. Da mehrere inner-halb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile zusammenzurechnen sind (§ 14 Abs. 1 ErbStG), ermittelte das Finanzamt einen Gesamtbetrag für beide Schenkungen und setzte Schenkungsteuer von rund 10.000 Euro fest. Dabei berücksichtigte das Finanzamt den Vorerwerb mit 87.392 Euro.
Sohn „rührte sich nicht“, da keine Schenkungsteuer anfiel
Der beschenkte Sohn meinte, dass der damals festgestellte Wert zu hoch und deshalb nun nach unten zu korrigieren sei. Bei der Schenkung im Jahr 2012 habe er sich nur deshalb nicht gegen den falschen Grundstückswert gewendet, weil die Schenkungsteuer ohnehin mit 0 Euro festgesetzt worden sei. Erfolgreich war er mit dieser Sichtweise bzw. Begründung aber nicht.
Grundstückswerte sind – im Gegensatz zu Werten sonstiger Schenkungsgegenstände (beispielsweise Geld) – für Zwecke der Schenkungsteuer in einem eigenen Verfahren gesondert festzustellen.
Die „Quittung“ kam später
Der festgestellte Wert entfaltet Bindungswirkung für alle Schenkungsteuerbescheide, bei denen er in die Bemessungsgrundlage einfließt. Das gilt auch für die Berücksichtigung eines früheren Erwerbs nach § 14 Abs. 1 ErbStG.
Beachten Sie | Hält der Steuerpflichtige den festgestellten Grundstückswert für zu hoch, muss er sich sogleich gegen diese Feststellung wenden. Macht er dies nicht und wird der Bescheid über den festgestellten Wert bestandskräftig, kann der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit bei den nachfolgenden Schenkungsteuerfestsetzungen nicht mehr mit Erfolg geltend machen.
Quelle | BFH, Urteil vom 26.7.2023, II R 35/21
Verkehrsrecht
Verkehrsverstöße: Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage
Eine Fahrtenbuchauflage kommt für den Fahrzeughalter nur in Betracht, wenn es nach einem Verkehrsverstoß unmöglich oder unzumutbar ist, den Täter festzustellen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in zwei Entscheidungen dazu Stellung genommen, wann die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass ein Fahrtenbuch angeordnet werden darf:
Fahrtenbuchauflage „kassiert“: Ermittlungen waren nicht umfassend genug
In dem einen Fall hat das OVG die Fahrtenbuchauflage aufgehoben. Mit Blick darauf, dass vieles – etwa ein klares Tatfoto und die Zeugnisverweigerung der klagenden Halterin des Pkw – für einen Täter aus dem Familienkreis gesprochen habe, hätte die Behörde bei der Meldebehörde mögliche, den Tätermerkmalen entsprechende Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin ermitteln müssen. Auf Grundlage dieser Information hätten dann womöglich deren Lichtbilder aus dem Personalausweisregister für einen Fotoabgleich angefordert werden können. Dies wäre ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen. Es sei in Verfahren dieser Art regelmäßig üblich und hätte im konkreten Fall zu einem Tatverdacht gegen den Sohn der Klägerin geführt.
Keine ausreichende Überzeugung der Täterschaft
In dem anderen Verfahren hat das OVG ausgeführt: Die Feststellung eines Fahrzeugführers ist auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte.
Abzustellen ist dabei, so das OVG, auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung. Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion.
In jedem Fall muss die Bußgeldbehörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen treffen. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.
Es lag eine Verwechslung vor
Das hat das OVG hier wegen einer erkennbaren Verwechslung des Vor- und Nachnamens des vom Fahrzeughalter benannten Fahrzeugführers verneint.
Quelle | OVG Münster, Urteile vom 31.5.2023, 8 A 2361/22,und vom 3.5.2023, 8 B 185/23
Trunkenheitsfahrt: E-Scooter: Führerschein im Regelfall weg, aber Ausnahmen möglich
Das Landgericht (LG) Osnabrück hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage entschieden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zu entziehen ist.
Amtsgericht: fünfmonatiges Fahrverbot
Erstinstanzlich sah das Amtsgericht (AG) Osnabrück von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Es sprach indes ein Fahrverbot von fünf Monaten aus. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.
Gesamtschau: hohe Anforderung an Ausnahme
Das LG hat nun betont: Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung könne bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies stelle hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme bestehe, sei durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Höchstrichterlich würden an die Annahme einer solchen Ausnahme sehr hohe Anforderungen gestellt.
Ausnahme hier gegeben
Hier lag nach Ansicht des LG ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte habe beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke – rund 150 Meter – mit dem E-Scooter zu fahren. Er habe nicht nur sein Verhalten bereut und sich hierfür entschuldigt, sondern auch seinen Worten Taten folgen lassen, indem er an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und mit medizinischen Gutachten – im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse – nachgewiesen habe, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das LG ging daher davon aus, dass der Angeklagte – nun – geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr sei, mithin eine Ausnahme vom Regelfall vorliege.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Quelle | LG Osnabrück, Urteil vom 17.8.2023, 5 NBs 59/23, PM 30/23
Haftung: Wenn der Poser sein Fahrzeugheck ausbrechen lässt …
Lässt der Fahrer des beim zweispurigen Linksabbiegen links fahrenden Fahrzeugs das Heck mit Absicht driftend ausbrechen, tritt bei der dadurch verursachten Kollision mit dem rechts daneben abbiegenden Fahrzeug dessen Betriebsgefahr vollständig zurück. So entschied es das Amtsgericht (AG) Ulm.
Der Unfallverursacher hatte zeitnah vor dem Unfallgeschehen auf einem Supermarktparklatz „Burnouts“ gefahren. Dann hatte er den Parkplatz auf die Straße fahrend driftend verlassen. Daraus schloss das Gericht – basierend auf einem Sachverständigengutachten – auf die Absicht, auch beim Abbiegen das Heck ausbrechen zu lassen.
Quelle | AG Ulm, Urteil vom 22.6.2023, 6 C 1429/22, Abruf-Nr. 236561 unter www.iww.de
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
Referentenentwurf: Digitalisierung bei Genossenschaften soll gestärkt werden
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat ein Eckpunktepapier eines Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform veröffentlicht.
Die deutschen Genossenschaften stellen mit ihren 23,5 Millionen Mitgliedern einen wichtigen Teil der deutschen Wirtschaft dar. Insbesondere für die weitere Digitalisierung bei den Genossenschaften sollen verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Bereits im letzten Jahr sind zwei wesentliche Rechtsänderungen in Kraft getreten. Durch Regelungen über alternative Formen der General- und Vertreterversammlung wurden bereits rein virtuelle Versammlungen ermöglicht. Darüber hinaus wurden Regelungen über Anmeldungen zum Genossenschaftsregister mittels Videokommunikation im notariellen Online-Verfahren geschaffen.
Der nun geplante Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform soll nach dem Eckpunktepapier folgende drei Regelungsbereiche umfassen:
Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften
Zur Förderung der Digitalisierung sollen insbesondere die meisten Schriftformerfordernisse des Genossenschaftsgesetzes (GenG) zugunsten der Textform abgeschafft werden. Die Schriftform soll nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme sein. Weitere Vorschläge betreffen digitale Sitzungen und Beschlussfassungen sowie digitale Informationsversorgung der Genossenschaftsmitglieder.
Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform
Zur weiteren Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform soll die Gründung einer Genossenschaft beschleunigt werden. Dies soll durch die Einrichtung einer Datenbank über genossenschaftliche Prüfungsverbände, die Standardisierung der Gründungsgutachten, die Beschleunigung der Förderungszweckprüfung durch das Registergericht sowie durch eine Frist für Eintragungen im Genossenschaftsrecht erreicht werden. Von den geplanten Änderungen werden insbesondere Start-Ups profitieren.
Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften
Zudem sind weitere Maßnahmen geplant, um eine missbräuchliche Verwendung der Rechtsform zu verhindern. Gesetzesänderungen in den Jahren 2017 und 2022 haben bereits Wirkung gezeigt. Sie sollen nun durch weitere punktuelle Regelungen ergänzt werden. Vorgesehen wird hier unter anderem eine Ausweitung der Rechte und Pflichten der genossenschaftlichen Prüfungsverbände.
Das Vorhaben dient damit auch der Umsetzung des Koalitionsvertrags, in dem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel Genossenschaften, Sozialunternehmen und Integrationsunternehmen vorgesehen ist.
Das Eckpunktepapier wurde Ende Juli 2023 den Verbänden und interessierten Kreisen im Bereich des Genossenschaftsrechts zugesandt und auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, bis zum 29.9.2023 Stellung zu nehmen. Nach Auswertung der Stellungnahmen wird das BMJ einen Referentenentwurf vorlegen.
Quelle | BMJ, PM 46/23 vom 28.7.2023
Betrug: Hackerangriff bei Autokauf: Käufer muss zweimal zahlen
Ein Autokäufer fiel auf eine gefälschte Mail herein. Infolgedessen zahlte er den Kaufpreis für ein Auto auf ein Konto des Betrügers und nicht auf das des Autohändlers. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschied nun: Will der Käufer das Auto tatsächlich erwerben, muss er noch einmal zahlen.
Autokauf am Telefon
Der Autokäufer war Geschäftsführer eines Unternehmens. Er kaufte den Pkw telefonisch. Mit dem Autohändler vereinbarte er, dass dieser ihm die Rechnung per E-Mail zusenden sollte.
Käufer bekam zwei E-Mails
Nun bekam der Käufer zwei E-Mails mit derselben Rechnung. Zunächst schickte der Geschäftsführer des Autohauses die Rechnung, wie gewünscht, an den Käufer. Im Kopfbereich der Rechnung sowie in der Fußzeile war ein Konto bei einer Sparkasse als Empfängerkonto angegeben. Kurze Zeit später erhielt der Käufer eine weitere E-Mail von der E-Mail-Adresse des Autohauses mit einer neuen Rechnung im Anhang. Hierin war – nur in der Fußzeile, der Kopfbereich wies unverändert das vorgenannte Konto der Klägerin bei der o. g. Sparkasse aus – ein anderes Empfängerkonto bei einer anderen Bank eines privaten Kontoinhabers angegeben. Die Beklagte überwies den Kaufpreis auf das letztgenannte Konto.
Rund zehn Tage später forderte das Autohaus den Käufer auf, den Kaufpreis zu zahlen. Da stellte sich heraus, dass die zweite E-Mail aufgrund eines „Hackerangriffs“ von einer unbefugten dritten Person versandt worden war und dass die in der Fußzeile dieser E-Mail angehängte Rechnung sowie die Bankverbindung keine des Autohauses waren. Der Käufer lehnte eine zweite Zahlung ab, daraufhin verklagte ihn das Autohaus.
Falsche Kontoüberweisung: Keine Leistung erbracht
Das OLG: Das Geld floss auf ein Konto, das dem Verkäufer nicht gehörte, und habe dort den sog. Leistungserfolg nicht herbeiführen können.
Autohaus muss keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen treffen
Das OLG sah keine Pflicht des Autohändlers, besondere Vorkehrungen gegen einen Hackerangriff zu treffen.
Das Argument des Käufers, die Zahlung auf das falsche Konto habe letztlich der Autohändler verursacht, ließ es nicht gelten: Der Käufer könne nicht erwarten, dass die die Rechnung enthaltende PDF-Datei verschlüsselt werde. Dies sei im Geschäftsverkehr unüblich. Gleiches gelte für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.
Auch darüber hinaus sah das OLG keine Pflichtverstöße des Autohändlers.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.7.2023, 19 U 83/22
Berechnung der Verzugszinsen
Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten.
Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2023 beträgt 3,12 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:
- für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,12 Prozent
- für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,12 Prozent*
- für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,12 Prozent.
Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).
Übersicht / Basiszinssätze
Zeitraum | Zinssatz |
---|---|
01.01.2023 bis 30.06.2023 | 1,62 Prozent |
01.07.2022 bis 31.12.2022 | -0,88 Prozent |
01.01.2022 bis 30.06.2022 | -0,88 Prozent |
01.07.2021 bis 31.12.2021 | -0,88 Prozent |
01.01.2021 bis 30.06.2021 | -0,88 Prozent |
01.07.2020 bis 31.12.2020 | -0,88 Prozent |
01.01.2020 bis 30.06.2020 | -0,88 Prozent |
01.07.2019 bis 31.12.2019 | -0,88 Prozent |
01.01.2019 bis 30.06.2019 | -0,88 Prozent |
01.07.2018 bis 31.12.2018 | -0,88 Prozent |
01.01.2018 bis 30.06.2018 | -0,88 Prozent |
01.07.2017 bis 31.12.2017 | -0,88 Prozent |
01.01.2017 bis 30.06.2017 | -0,88 Prozent |
01.07.2016 bis 31.12.2016 | -0,88 Prozent |
01.01.2016 bis 30.06.2016 | -0,83 Prozent |
01.07.2015 bis 31.12.2015 | -0,83 Prozent |
01.01.2015 bis 30.06.2015 | -0,83 Prozent |
01.07.2014 bis 31.12.2014 | -0,73 Prozent |
01.01.2014 bis 30.06.2014 | -0,63 Prozent |
01.07.2013 bis 31.12.2013 | -0,38 Prozent |
01.01.2013 bis 30.06.2013 | -0,13 Prozent |
01.07.2012 bis 31.12.2012 | 0,12 Prozent |
01.01.2012 bis 30.06.2012 | 0,12 Prozent |
01.07.2011 bis 31.12.2011 | 0,37 Prozent |
01.01.2011 bis 30.06.2011 | 0,12 Prozent |
01.07 2010 bis 31.12.2010 | 0,12 Prozent |