März 2022

Arbeitsrecht

Textformerfordernis: Lohnabrechnung im elektronischen Postfach statt in Papierform?

Die bloße Zurverfügungstellung der Lohnabrechnung in elektronischer Form zum Abruf durch den Arbeitnehmer ist keine Erfüllung der Pflicht, eine Lohnabrechnung zu erteilen. Das hat jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm klargestellt.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber informierte den Arbeitnehmer darüber, dass seine Verdienstabrechnungen künftig verschlüsselt in einem Online-Portal bereitstünden, und nicht, wie bis dahin, ausgedruckt zur Verfügung gestellt werden würden. Dieser Form der Lohnabrechnungen widersprach der Arbeitnehmer ausdrücklich schriftlich.

In der Folge wurden dem Arbeitnehmer die seinem Lohn entsprechenden Abrechnungen nicht mehr ausgedruckt zur Verfügung gestellt, sondern – wie angekündigt – in digitaler, elektronischer Form im Online-Portal des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer druckte sich seine Lohnabrechnungen nicht selbst aus. Er ist der Ansicht, dass ein Bereitstellen der Lohnabrechnung in elektronischer Form seiner Zustimmung bedürfe und es nicht ausreicht, die Lohnabrechnungen in digitaler bzw. elektronischer Form in einem Online-Portal hochzuladen. Vielmehr müsse eine Abrechnung in Textform erteilt werden. Der Textform genüge das Bereitstellen in einem Online-Portal gerade nicht. Die Möglichkeit des Abrufs der Lohnabrechnungen durch ihn selbst werde diesem Erfordernis nicht gerecht und erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen.

So entschieden die Instanzen Das Arbeitsgericht (ArbG) wies die Klage insoweit ab, als der Arbeitnehmer die Erteilung der Abrechnungen in Papierform beantragt hat. Es verurteilte den Arbeitgeber aber dazu, die streitgegenständlichen Lohnabrechnungen zu erteilen. Zu Recht, sagt das LAG Hamm in der Berufung des Arbeitgebers.

Der Arbeitgeber habe die erforderliche Textform gewahrt, weil er eine insofern lesbare Erklärung, in denen die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben habe. Sein Online-Portal sei dabei ein Medium, das es dem Empfänger ermögliche, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich sei. Sie sei auch geeignet, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Die Tatsache, dass man auf die Abrechnungen nur mit dem bestimmten Passwort zugreifen könne, ändere nichts daran, dass der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer bestimmte Lohnabrechnungen in Textform erstellt habe. Der Arbeitgeber müsse jedoch nicht nur eine Lohnabrechnung erstellen und dem Arbeitnehmer den Zugang zu der erstellten Abrechnung ermöglichen. Er müsse auch dem Arbeitnehmer die Lohnabrechnungen erteilen. Die Abrechnung bezwecke dabei die Information über die erfolgte Zahlung, sodass die Erfüllung des Lohnabrechnungsanspruchs nicht nur die Erstellung, sondern auch den Zugang voraussetze.

Arbeitgeber schuldet nicht nur Bereitstellung zur Abholung

Dieser Zugang liege vor, wenn die Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers gerate, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen könne. Die Erfüllung des Anspruchs auf Erteilung der Lohnabrechnung in Textform setze demnach voraus, dass die Lohnabrechnung den Machtbereich des Empfängers erreicht habe. Eine Übermittlung der Lohnabrechnungen an eine dienstliche E-Mail-Adresse des Arbeitnehmers erfolgte hier jedoch nicht. Der Arbeitgeber habe zwar dem Arbeitnehmer ermöglicht, sich die Lohnabrechnungen auf seinem Online-Portal abzuholen. Dies reiche jedoch für die Erfüllung der obliegenden Verpflichtung zur Erteilung der Lohnabrechnung nicht aus. Es werde nicht die Bereitstellung zur Abholung durch den Arbeitnehmer, sondern die Erteilung durch den Arbeitgeber geschuldet. Daher sei der Arbeitgeber verpflichtet, die in elektronischer Form erstellte Lohnabrechnung in den Machtbereich des Arbeitnehmers zu verbringen.

Einverständnis des Arbeitnehmers lag nicht vor

Besitze der Arbeitnehmer keine dienstliche E-Mail-Adresse, könne ein Zugang einer elektronischen Erklärung, die dem Textformerfordernis genüge, nach nahezu einhelliger Ansicht im Schrifttum nur angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer sich mit dem Empfang elektronischer Erklärungen ausdrücklich oder konkludent einverstanden erklärt habe. Das sei hier nicht der Fall gewesen.

Quelle | LAG Hamm, Urteil vom 23.9.2021, 2 Sa 179/21

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Reinigungsbranche: Erschwerniszuschlag für das Tragen der OP-Maske?

Beschäftigte der Reinigungsbranche, die bei Arbeiten eine sogenannte OP-Maske tragen, haben keinen Anspruch auf einen tariflichen Erschwerniszuschlag. Das entschied jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg.

Auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers ist der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31.10.19 (RTV) anzuwenden. Dieser sieht bei Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird, einen Zuschlag von 10 Prozent vor. Der Arbeitnehmer musste bei der Arbeit eine OP-Maske tragen. Er machte mit seiner Klage den genannten Erschwerniszuschlag geltend.

Das LAG wies die Klage ab. Der Erschwerniszuschlag sei nur zu zahlen, wenn die Atemschutzmaske Teil der persönlichen Schutzausrüstung des Arbeitnehmers sei. Dies sei bei einer OP-Maske nicht der Fall, weil sie – anders als eine FFP2- oder FFP3-Maske – nicht vor allem dem Eigenschutz des Arbeitnehmers, sondern dem Schutz anderer Personen diene.

Das LAG hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen.

Quelle | LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.11.2021, 17 Sa 1067/21

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Urlaubsgewährung: Arbeitgeber muss bei Urlaub des langzeiterkrankten Arbeitnehmers nicht mitwirken

Die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung gelten nicht gegenüber einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer. So entschied es das Arbeitsgericht (ArbG) Köln.

Der Arbeitgeber könne den langzeiterkrankten Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzen, seinen Urlaub zu nehmen. Daher müsse er ihn auch nicht auf eine tatsächlich und rechtlich ohnehin unmögliche Urlaubsgewährung hinweisen.

Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 30.9.2021, 8 Ca 2545/21

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Baurecht

Architektenhonorar: Wer Vorschüsse behalten will, muss abrechnen

Solange der Auftragnehmer im Prozess über die Rückzahlung von Abschlags- bzw. Vorauszahlungen von Architektenhonorar nicht endgültig abrechnet, kann es auf die Frage, ob eine Kündigung aus wichtigem Grund oder lediglich eine sog. freie Kündigung vorliegt, nicht entscheidend ankommen. Denn der Auftragnehmer muss nicht nur im Fall einer Kündigung aus wichtigem Grund durch eine Endabrechnung darlegen (und ggf. beweisen), dass er die vereinnahmten Vorauszahlungen endgültig behalten darf. Vielmehr gilt dies ebenso im Fall einer freien Kündigung. Auch im letzteren Fall muss der Auftragnehmer seine gesamten Leistungen, also die erbrachten wie die nicht erbrachten, insgesamt abrechnen und in diese Abrechnung die geleisteten Abschlagszahlungen einstellen. Zudem muss er beziffern, was er sich an ersparten Aufwendungen bzw. als Erwerb durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft anzurechnen lassen hat. Diese Auffassung vertritt das Oberlandesgericht (OLG) Celle.

Das OLG: Auch wenn die Vertragsparteien über das Vorliegen einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund oder einer freien Kündigung streiten, muss der Auftragnehmer von seinem Standpunkt aus also zunächst entsprechend abrechnen. Solange er dies nicht tut, kann der Auftraggeber bei schlüssiger eigener Berechnung einen etwaigen Überschuss nach Ansicht des OLG zurückverlangen, ohne dass es auf eine Klärung der Kündigungsfrage ankommt.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 6.10.2021, 14 U 153/20

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Familien- und Erbrecht

Ausländische Ehescheidung: Scheidung per WhatsApp nicht möglich

Die Anerkennung einer ausländischen Ehescheidung setzt die ordnungsgemäße und fristgerechte Zustellung des Scheidungsantrags voraus. Auslandszustellungen können in Deutschland nicht per WhatsApp erfolgen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wies deshalb jetzt den Antrag auf Anerkennung eines kanadischen Scheidungsurteils zurück.

Der Antragsteller begehrte, ein kanadisches Scheidungsurteil anzuerkennen. Die Antragsgegnerin ist Deutsche, der Antragsteller Kanadier. Die Beteiligten hatten in Kanada geheiratet; dort lag auch ihr letzter gemeinsamer Aufenthaltsort, bevor die Antragsgegnerin nach der Trennung nach Deutschland zurückkehrte.

Der Antragsteller trug vor, er habe bei dem zuständigen kanadischen Gericht die Ehescheidung beantragt. Die Zustellung dieses Scheidungsantrags an die Antragsgegnerin sei mit Genehmigung des zuständigen kanadischen Gerichts – über seine kanadische Bevollmächtigte – über den Nachrichtendienst WhatsApp erfolgt. Seine Frau habe daraufhin auch geantwortet, sich aber nicht zur Sache eingelassen. Die Scheidung sei dann ausgesprochen worden und nun rechtskräftig.

Das OLG wies den Antrag auf Anerkennung des kanadischen Scheidungsurteils zurück. Es liege ein Anerkennungshindernis vor. Der Scheidungsantrag sei der Antragsgegnerin nicht ordnungsgemäß mitgeteilt worden. Auslandszustellungen könnten in Deutschland nicht per WhatsApp erfolgen. Etwaigen erweiternden Regelungen im Haager Übereinkommen über Zustellung von Schriftstücken im Ausland habe Deutschland widersprochen.

Unerheblich sei, dass die Antragsgegnerin tatsächlich von dem Schriftstück Kenntnis erlangt habe und sie rechtzeitig ihre Rechte hätte wahrnehmen können. Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung setze sowohl die rechtzeitige als auch die ordnungsgemäße Zustellung voraus. Unschädlich sei zudem, dass die Antragsgegnerin kein Rechtsmittel gegen das kanadische Scheidungsurteil eingelegt habe. Die Möglichkeit eines Rechtsmittels sei nicht mit der Verteidigung gegen die wirksame Zustellung gleichwertig. Die Antragsgegnerin würde andernfalls eine Tatsacheninstanz verlieren.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.11.2021, 28 VA 1/21, PM 80/21

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Ehescheidung: Gepfändete Anrechte im Versorgungsausgleich

Auch gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte fallen in den Versorgungsausgleich. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Die Anrechte können danach intern geteilt werden.

Versorgungsanrechte sind zwar in der Anwartschaftsphase bezüglich des Stammrechts weitgehend gegen Pfändung geschützt. Laufende Renten sind aber wie Arbeitseinkommen pfändbar. Dies gilt auch für Ansprüche auf künftige Rentenzahlungen und auf künftige Auszahlung von Versicherungssummen (z. B. aufgrund einer betrieblichen Direktversicherung).

Anrecht gepfändet: kein Versorgungsausgleich

Ist ein Anrecht zulässigerweise gepfändet worden, ist für den Versorgungsausgleich bedeutsam, ob es gleichwohl noch dem Ehegatten wirtschaftlich zuzurechnen ist oder nicht. Ist es dem Gläubiger an Zahlungs statt überwiesen worden, ist es nicht mehr dem Ehegatten zurechenbar und fällt daher auch nicht mehr in den Versorgungsausgleich.

Anrecht noch nicht verwertet: Versorgungsausgleich möglich

Ist es (nur) zur Einziehung überwiesen worden, ist es noch dem Ehegatten zuzuordnen und fällt in den Versorgungsausgleich, solange es noch nicht verwertet worden ist. Die Vollstreckungsforderung wird mit der Überweisung zur Einziehung noch nicht befriedigt, sodass die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist. Bis das Pfandrecht ausgeübt wird, kann der Ausgleichspflichtige den Pfandgläubiger anderweitig befriedigen und so einen Anspruch begründen, das Pfandrecht aufzuheben.

Gepfändete und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesene Anrechte können intern geteilt werden. Das Verbot für den Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, steht dem nicht entgegen. Soweit die interne Teilung ggf. mit vollstreckungsrechtlichen Nachteilen verbunden ist (z. B. bei der Belastung des gepfändeten Anrechts mit Teilungskosten), muss der Vollstreckungsgläubiger dies hinnehmen. Im Übrigen sind seine Belange aber gewahrt, wenn Verstrickung und Pfändungspfandrecht auch das auf den Ausgleichsberechtigten übertragene (Teil-)Anrecht erfassen.

Quelle | BGH, Urteil vom 16.12.2020, XII ZR 28/20

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Gemeinschaftstestament: Was bedeutet die Formulierung „gemeinsamer Tod“?

Das Oberlandesgericht (OLG) München musste sich mit der Auslegung einer Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament befassen, die so oder so ähnlich häufig vorkommt.

Eheleute errichteten 1992 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig als alleinige Erben einsetzten. Darin heißt es u. a.: „Der überlebende Teil bestimmt den Nacherben allein. Bei einem gemeinsamen Tode z.B. durch Unfall fällt der gesamte Nachlass an unsere Nichte M. S. […], die damit auch alle Folgelasten, wie Begräbnis und Pflege der Grabstätte auf Lebenszeit zu tragen hat. […]“

Der Ehegatte verstarb nur zehn Tage vor der Erblasserin. Diese war nach dem Tod ihres Ehemannes aufgrund ihrer körperlich-geistigen Verfassung nicht mehr in der Lage, eine weitere letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Die Nichte beantragte schließlich auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments einen Alleinerbschein betreffend die Erbfolge nach der Erblasserin. Gegen einen entsprechenden stattgebenden Beschluss des Nachlassgerichts legte eine Beteiligte, die beanspruchte, gesetzliche Erbin zu sein, ohne Erfolg Beschwerde ein.

Das OLG hat die Entscheidung des Nachlassgerichts bestätigt. Die Ehegatten hätten mit der Formulierung „Der überlebende Ehegatte bestimmt den Nacherben allein“ gerade keine Anordnung für den Fall des Todes des überlebenden Ehegatten getroffen, sondern die Regelung der Erbfolge nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten bewusst offengelassen. Damit bleibe der Fall des Ablebens des überlebenden Ehegatten ungeregelt, sodass grundsätzlich bei einem Ableben des überlebenden Ehegatten im Fall, dass dieser keine weitere letztwillige Verfügung errichtet, die gesetzliche Erbfolge nach dem überlebenden Ehegatten eintritt. Die Auslegung des Testaments ergebe hier, dass nach dem für die Testamentsauslegung maßgeblichen Willen der Eheleute im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments die Nichte auch für den hier vorliegenden Fall des zeitlichen Nacheinanderversterbens der Erblasserin und ihres Ehemannes unter der Prämisse als Erbin eingesetzt werden sollte, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Vorversterbenden nicht mehr in der Lage ist, eine (weitere) letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten. Es sei sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine Regelung für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist.

Quelle | OLG München, Urteil vom 1.12.2021, 31 Wx 314/19

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Mietrecht und WEG

Nachstellung und Bedrohung: Nachbarliche Schikane zieht Schadenersatz nach sich

Wer seinem Nachbarn mit der Verletzung der Gesundheit oder des Lebens droht und ihn zum Wegzug veranlasst, ist zum Schadenersatz verpflichtet. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe klargestellt.

Ein 63 Jahre alter Mann hatte nach dem Einzug einer Familie in ihr neues Eigenheim damit begonnen, diese zu schikanieren. Er beobachtete sie ständig, klopfte nachts an die Hauswand und beleidigte sie wiederholt. Später sprach er zwei konkrete Todesdrohungen aus. Er drohte, eine Pistole zu holen, und lief dem Ehemann mit erhobenem Beil hinterher. Nur weil der Ehemann fliehen konnte, wandte sich der Nachbar den beiden Kfz des Ehepaars zu und schlug mit dem Beil auf sie ein. Hierdurch entstand hoher Sachschaden. Die Familie entschloss sich darauf, sofort umzuziehen. Sie bezog zunächst eine Mietwohnung. Später erwarb sie neues Eigenheim.

Gerichtlich verlangte die Familie Schadenersatz, insbesondere die Umzugskosten, die Nebenkosten für den Erwerb des neuen Hauses, einen Mindererlös aus dem Verkauf ihres verlassenen Familienheims (nachdem sie die Käufer auf die bisherigen Verhaltensweisen des Nachbarn hingewiesen hatten) sowie die Maklercourtage.

Das OLG sprach der Familie (nur) rund 44.000 Euro statt der ursprünglich geforderten ca. 113.000 Euro zu. Der Nachbar habe sich durch sein Verhalten wegen Nachstellung und Bedrohung strafbar gemacht. Hieraus resultiere ein Schadenersatzanspruch. Dieser reiche aber nur so weit, wie die geltend gemachten Schäden vom Schutzzweck der Strafnormen erfasst seien. Dieser umfasse die Kosten, die zur Wiederherstellung des persönlichen Sicherheitsgefühls aufgewandt werden mussten, z. B. Umzugs- und die Nebenkosten im Zusammenhang mit dem Erwerb des neuen Eigenheims. Die Wertminderung hinsichtlich des verlassenen Hauses und die im Zusammenhang mit dessen Verkauf angefallene Maklerprovision hat das OLG jedoch als bloße Vermögensfolgeschäden bewertet, die der Kläger nicht erstatten musste.

Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 5.11.2021, 10 U 6/20

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Rücksichtnahme: Kinderlärm ist nicht unbegrenzt hinzunehmen

Kommt es in den nächtlichen Ruhezeiten wiederholt zu Kinderlärm, rechtfertigt dies die fristlose Kündigung des Mietvertrags. Das sagt das Landgericht (LG) Berlin.

Die Wohnungsmieter störten den Hausfrieden nachhaltig durch Lärm. Es kam durch ihre Kinder zu Streitereien, Geschrei und Türenknallen auch ab 22 Uhr. Nach wiederholten Abmahnungen stellte sich keine Besserung ein. Daraufhin kündigte der Vermieter fristlos, hilfsweise ordentlich. Die Mieter weigerten sich, auszuziehen.

Das Amtsgericht (AG) gab der Räumungsklage statt, weil die fristlose Kündigung wirksam war. Das LG bestätigte, dass unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung die ordentliche Kündigung wirksam sei. Denn die Mieter haben entgegen dem Rücksichtnahmegebot erhebliche Lärmbelästigungen zu verschulden. Zwar sei Kinderlärm privilegiert. Das Toleranzgebot der Gesellschaft gegenüber Kindern finde aber seine Grenzen dort, wo nächtliche Ruhezeiten durch das Einwirken Erwachsener eingehalten werden können, dies aber nicht geschieht.

Quelle | LG Berlin 30.7.2021, 65 S 104/21

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Optische Beeinträchtigungen: Kein Mangel der Mietsache

Bei rein optischen Beeinträchtigungen handelt es sich nicht um Beschädigungen, die die Nutzung der Mietsache beeinträchtigen. Daher liege auch kein Mangel vor. So sieht es das Landgericht (LG) Hanau.

Vermieter und Mieter stritten darüber, ob bestimmte Sachmängel der Mietsache erheblich waren. Der Mieter behauptete Beschädigungen des Laminatbodens und legte ein Foto vor. Dieses Foto zeigte Abplatzungen, deren Größe nur im Millimeterbereich lagen. Ein weiteres Foto zeigte die Badezimmertür. Sie war an der Unterkante leicht aufgequollen.

Das Amtsgericht (AG) hatte die Klage des Mieters bereits abgewiesen und dies sogar, ohne Beweis zu erheben. Selbst bei Vorliegen der behaupteten Zustände der Wohnung, so das AG, fehle es an der Erheblichkeit der Mängel. Das LG sah es genauso. Es gab dem Mieter die Kosten beider Instanzen auf. Das Vorbringen des Mieters sei zu pauschal. Es werde nicht deutlich, ob und inwieweit die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache beeinträchtigt ist. Ausweislich der vorgelegten Fotos handele es sich nur um optische Beeinträchtigungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle.

Quelle | LG Hanau, Urteil vom 8.7.2021, 2 S 140/20

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Sanierungsstau in WEG: Wann müssen Eigentümer handeln?

In vielen Wohnungseigentümergemeinschaften ist es zu einem regelrechten Sanierungsstau gekommen. Sie überlegen daher, ob und welche Maßnahmen sie ergreifen sollen. Hier kann eine aktuelle Entscheidung des Bundesgesrichtshofs (BGH) bedeutsam sein: Danach muss die Eigentümergemeinschaft im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung einen Sanierungsstau des Gemeinschaftseigentums beseitigen. Das gilt auch, wenn dieser erheblich ist.

Ein Sanierungsstau ist laut dem BGH keine „Zerstörung“ des Gebäudes im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes (§ 22 WEG). Folge: Die Eigentümergemeinschaft muss das Gemeinschaftseigentum in dem Maße instand halten, dass sein Zustand gesetzeskonform ist und es gefahrlos genutzt werden kann.

Sie kann sich nicht auf den o. g. Ausnahmetatbestand berufen. Die WEG kann ihre Sanierungspflichten auch nicht dadurch vermeiden, dass sie statt zu sanieren einfach die Nutzung gefährlicher Bereiche des Gemeinschaftseigentums untersagt.

Quelle | BGH, Urteil vom 15.10.2021, V ZR 225/20

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Verbraucherrecht

Bankgebühren: Bereitstellungsprovision ist unabhängig vom Darlehenszins

Ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einer Bank eine Bereitstellungsprovision nach Ablauf der vereinbarten Abruffrist vorgesehen, die höher als der vereinbarte Darlehenszins ist, stellt dies eine Preisabrede dar, deren Inhalt die Gerichte nicht überprüfen dürfen. Dies stellte jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe fest.

Im Fall des OLG hatte ein Verbraucherschutzverband gegen eine entsprechende Klausel einer Bank geklagt. In dem zugrunde liegenden Fall zeigte sich die Bereitstellungsprovision rund zweieinhalbmal Mal so hoch wie der Darlehenszins. Das OLG ist der Ansicht, die Klausel regele gerade die Vergütung der von der Bank erbrachten Sonderleistung, dem Darlehensnehmer den Darlehensbetrag nach Abschluss des Darlehensvertrags auf Abruf bereitzuhalten.

Das OLG erkannte auch keinen Verstoß gegen den sog. Wucherparagrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 138 BGB). Bereitstellungsprovision und Darlehenszins hätten unterschiedliche Gegenleistungen, sodass der Darlehenszins kein marktüblicher Zins für die Provision sei. Es dürfe aber auch nicht übersehen werden, dass die Überschreitung wegen der Niedrigzinsphase absolut geringfügig sei. Nach Ansicht des OLG ist in Niedrigzinsphasen die absolute Abweichung des effektiven Vertragszinses vom marktüblichen Effektivzins als Maßstab einer Sittenwidrigkeit (mit-)heranzuziehen.

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.10.2021, 17 U 545/20

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Hochzeit mit Hindernissen I: Hochzeitsfeier abgesagt – Anzahlung zurück

Aufgrund der Corona-Pandemie musste ein Brautpaar seine Hochzeitsfeier absagen. Doch musste es auch die Anzahlung an den Caterer abschreiben? Nein – so entschied es das Landgericht (LG) Frankenthal: Kann eine Hochzeitsfeier wegen der Corona-Pandemie nicht wie geplant stattfinden, darf das Brautpaar von dem – vor Ausbruch der Pandemie geschlossenen – Catering-Vertrag zurücktreten. Der Caterer muss die vom Brautpaar überwiesene Anzahlung in voller Höhe zurückzahlen.

Ein Brautpaar wollte im Jahr 2020 seine Hochzeit mit 100 Personen in einem historischen Mühlenanwesen feiern und schloss mit dem Caterer etwa vier Monate vor dem geplanten Termin einen Vertrag darüber, dass dieser die Feier ausrichten und die Gäste verköstigen solle. Das Paar leistete Anzahlungen von mehr als 6.000 Euro. Wegen der staatlichen Auflagen in der ersten Corona-Pandemiewelle konnte die Feier nicht stattfinden und sollte 2021 nachgeholt werden. Doch auch 2021 war das Fest wegen der geltenden „Bundes-Notbremse“ pandemiebedingt nicht durchführbar. Das Ehepaar erklärte den Rücktritt vom Catering-Vertrag und forderte vergeblich die Rücküberweisung der Anzahlung.

Das LG gab dem Ehepaar Recht: Die Corona-Pandemie und deren Folgen seien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unabsehbar gewesen. Es sei unausgesprochen Geschäftsgrundlage des Vertrags gewesen, dass die Feier im Innenbereich der Mühle rechtskonform und ohne Gesundheitsrisiko für die Gäste durchgeführt werden könne. Hätte es vorhergesehen, dass dies wegen der Auflagen über viele Monate hinweg nicht möglich sei, hätte es den Vertrag nicht abgeschlossen.

Die Eheleute müssten sich nicht darauf verweisen lassen, das Fest unter freiem Himmel auszurichten. Ein weiteres Abwarten sei ebenfalls unzumutbar. Denn eine Hochzeitsfeier sollte im zeitlichen Zusammenhang zur standesamtlichen Trauung stattfinden.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 21.12.2021, 8 O 198/21

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Hochzeit mit Hindernissen II: Location wegen Corona-Pandemie gegen Ausgleichszahlung kündbar

Wer Räume angemietet hat, um eine Hochzeitsfeier mit bis zu 120 Personen durchzuführen, die wegen der Corona-Pandemie nur mit einer beschränkten Personenzahl (50 Personen) durchgeführt werden könnte, kann ein Kündigungsrecht haben. Kündigt der Mieter dann, steht dem Vermieter jedoch eine Ausgleichszahlung zu. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG Celle).

Ein Paar hatte vor Beginn der Corona-Pandemie ein Schloss für seine Hochzeit für eine Feier mit bis zu 120 Personen gemietet. Der Mietpreis betrug netto 5.000 Euro zuzüglich weiterer Kosten. Aufgrund der Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen (Corona-VO) waren Hochzeitsfeiern aber nur noch mit höchstens 50 Personen zulässig. Im Juli 2020 erklärte das Paar, nicht zu feiern. Der Vermieter verlangte die vereinbarte Miete. Die Klage war in zweiter Instanz nur zum Teil erfolgreich.

Auch wenn der Mietvertrag trotz der damals geltenden Corona-VO hätte durchgeführt werden können, war dies dem Paar nicht zumutbar. Aufgrund des Infektionsgeschehens bestand zumindest ein signifikantes medizinisches Risiko für die Anwesenden und ihre Kontaktpersonen. Es ist dem Brautpaar auch nicht zuzumuten gewesen, die Feier zu verschieben. Ein Hochzeitsfest ist aus Sicht des Brautpaars ein ganz besonderes einmaliges Ereignis, das nicht ohne Weiteres verlegbar ist.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 2.12.2021, 2 U 64/21

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Verkehrsrecht

Verfassungsbeschwerde: Herausgabe von Wartungsunterlagen eines Geschwindigkeitsmessgeräts im standardisierten Messverfahren

Der Verfassungsgerichtshof (VGH) Rheinland-Pfalz hat jetzt einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zugrunde lag.

Sachverhalt

Mit seiner Verfassungsbeschwerde machte ein Autofahrer u. a. geltend, die Nichtüberlassung der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts sowie bestimmter Messdaten (Falldatensätze der gesamten Messreihe einschließlich der Statistikdatei und Case-List) verstoße gegen Grundrechte der Landesverfassung.

Dem Autofahrer war eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen worden. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines mobilen Messgeräts des Typs PoliScan Speed M1 der Firma Vitronic. Nachdem seine Verteidigerin Einsicht in die Bußgeldakte erhalten hatte, beantragte sie, ihr weitere Dokumente zu überlassen – u. a. die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts, die nicht Bestandteil der Bußgeldakte sind.

So entschieden die Instanzen

Das Amtsgericht (AG) lehnte den Antrag ab und verurteilte den Autofahrer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 140 Euro. Sein beim Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gestellter Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde blieb ohne Erfolg.

Kehrtwende durch den Verfassungsgerichtshof

Die Entscheidungen des AG und OLG verletzten den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren, so der VGH. Aus diesem Grundsatz folge das Recht des Betroffenen, Unterlagen über Messgerät und Geschwindigkeitsmessung einzusehen.

„Waffengleichheit“ …

So werde dem auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in jüngerer Zeit betonten Gedanken der „Waffengleichheit“ zwischen Bußgeldbehörde und Betroffenem Rechnung getragen und Autofahrern zu ermöglichen, nach Entlastungsmomenten in Gestalt von Fehlern im Messverfahren zu suchen.

… aber kein unbegrenzter Informationsanspruch

Allerdings bestehe ein Informationsanspruch nicht unbegrenzt. Er setze zum einen voraus, dass der Betroffene die begehrten Informationen hinreichend konkret benenne. Zum anderen sei erforderlich, dass die Dokumente einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufwiesen. Zudem dürften dem Anspruch keine gewichtigen verfassungsrechtlich verbürgten Interessen, z. B. die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder schützenswerte Interessen Dritter entgegenstehen. Im Fall der begehrten Einsicht in die Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen des Messgeräts seien die Voraussetzungen eines Einsichtsrechts erfüllt.

Da die Verfassungsbeschwerde bereits wegen der verweigerten Einsichtnahme in die genannten Unterlagen erfolgreich war, könne die vom Autofahrer weiter aufgeworfene Frage dahinstehen, ob das Messergebnis wegen der vom Messgerät nicht gespeicherten sog. Rohmessdaten verwertbar gewesen sei.

Quelle | VGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.12.2021, VGH B 46/21, PM 8/21

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Ordnungswidrigkeit: Wegen langen Zeitablaufs kann vom Fahrverbot abgesehen werden

Liegt zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Ahndung der Tat ein längerer Zeitraum, kann es sein, dass ein Fahrverbot wegen des langen Zeitraums entfällt. Das hat das Amtsgericht (AG) Trier nun bestätigt.

Der Zeitraum zwischen Ordnungswidrigkeit und Ahndung, ab welchem ein Entfallen des Fahrverbots zu prüfen ist, wird oft pauschal auf zwei Jahre bestimmt. Diese Frist ist aber nicht zwingend, sondern muss letztlich im Einzelfall geprüft werden.

Das AG hat den Betroffenen am 3.9.2021 wegen einer am 30.10.2019 vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften verurteilt. Aufgrund des langen Zurückliegens der Tat hat das AG das Regelfahrverbot nicht mehr als erforderlich angesehen und von der Verhängung abgesehen. Die Geldbuße hat es auch nicht erhöht.

Quelle | AG Trier, Urteil vom 3.9.2021, 27c OWi 8143 Js 10147/20

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Kokainkonsum: Aberkennung einer europäischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet

Das Verwaltungsgericht (VG) Trier hat die Rechtmäßigkeit einer Aberkennung des Rechts bestätigt, von einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Danach ist eine Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn die Einnahme sog. harter Drogen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) feststehe. Cannabis zähle allerdings nicht hierzu.

Sachverhalt

Der Antragsteller, ein Autofahrer, ist Inhaber einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis mit Wohnsitz in Deutschland, was ihn nach den einschlägigen Vorschriften zum Führen von Kraftahrzeugen auch im Inland berechtigt. Anlässlich einer Verkehrsunfallaufnahme wurden beim Antragsteller Anzeichen eines zeitnahen Betäubungsmittelkonsums festgestellt. Ein Urintest verlief positiv auf Kokain und THC. Die Auswertung der entnommenen Blutprobe bestätigte den Befund. Daher verfügte die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber dem Antragsteller die Aberkennung des Rechts, von seiner im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und stellte bei Gericht einen Eilantrag. Begründung: Beim Besuch eines Bekannten, der Kokain geraucht habe, müsse es wohl zu einer unbeabsichtigten Aufnahme von Kokain gekommen sein. Möglicherweise hätten sich an dem ihm zum Trinken angebotenen Glas Anhaftungen von Kokain befunden; außerdem habe er die Tabakblättchen seines Bekannten benutzt, auf denen möglicherweise ebenfalls Kokainanhaftungen gewesen seien.

Das VG lehnte den Eilantrag ab. Eine Fahrerlaubnis sei zwingend zu entziehen, wenn die Einnahme sog. harter Drogen im Sinne des BtMG feststehe. Dies gelte unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr im berauschten Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen.

Einmaliger Gebrauch harter Drogen führt bereits zu Sanktionen

Dementsprechend sei die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits gerechtfertigt, wenn einmalig sog. harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers nachgewiesen werden könnten. Dies sei hier der Fall gewesen. Davon, dass es lediglich zu einer unbeabsichtigten Aufnahme von Kokain gekommen sei, sei nicht auszugehen. Die vermutete Aufnahme von Kokain durch Anfassen des Wasserglases oder der Tabakblättchen sei zum einen ohnehin nicht plausibel. Im Übrigen sei es nach dem Ergebnis der Blutprobe nahezu ausgeschlossen, dass der Antragsteller nur eine geringste Menge Kokain unbewusst eingenommen habe; der festgestellte Benzoylecgoninwert noch über 96 Stunden später sei damit nicht plausibel erklärbar.

Damit habe der Antragsteller sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, was die Fahrerlaubnisbehörde im Fall einer im europäischen Ausland erteilten Fahrerlaubnis nach den einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften dazu berechtige, das Recht abzuerkennen, von dieser im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.

Quelle | VG Trier, Beschluss vom 7.12.2021, 1 L 3223/21.TR, PM 38/21

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Ordnungswidrigkeit: Handy auf dem Oberschenkel ablegen, heißt, es zu benutzen

Wird dem Betroffenen die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons zur Last gelegt, ist entscheidend, ob er es wirklich „benutzt“ hat. Das hat das Bayrische Oberste Landesgericht (BayObLG) jetzt für das Ablegen des Handys auf dem Oberschenkel bejaht.

Denn, so das Gericht, eine verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons liege nicht nur vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird. Vom Wortsinn (gemäß Duden, siehe www.duden.de, Stichwort „halten“) her bedeute „halten“ einerseits „festhalten“ und andererseits „bewirken, dass etwas in seiner Lage, seiner Stellung oder Ähnlichem bleibt“. Demnach liegt ein Halten nicht nur vor, wenn ein Gegenstand mit der Hand ergriffen wird, sondern auch, wenn er zwischen Schulter und Ohr geklemmt wird. Zudem ist ein Halten gegeben, wenn das Gerät in sonstiger Weise mithilfe der menschlichen Muskulatur in seiner Position bleibt.

Ein Mobiltelefon kann während der Fahrt, verbunden mit den damit einhergehenden Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen, nicht allein durch die Schwerkraft auf dem Schenkel verbleiben. Es bedarf bewusster Kraftanstrengung, um die Auflagefläche so auszubalancieren, dass das Mobiltelefon nicht vom Bein herunterfällt. Auch dieses durch menschliche Kraftanstrengung bewirkte Ausbalancieren unterfällt dem Begriff des Haltens.

Quelle | BayObLG, Urteil vom 10.1.2022, 201 ObOWi 1507/21

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Wettbewerbsrecht: Werbung für ärztliche Fernbehandlungen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt geklärt, unter welchen Voraussetzungen für ärztliche Fernbehandlungen geworben werden darf.

Das war geschehen

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte warb auf ihrer Internetseite mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ für die von einer privaten Krankenversicherung angebotene Leistung eines „digitalen Arztbesuch“ mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Die Klägerin sieht in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen. Sie nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

So sahen es die Vorinstanzen

Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Gegen diese Entscheidung hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist die einschlägige Vorschrift im Heilmittelwerbegesetz (§ 9 HWG) mit Wirkung zum 19.12.2019 ergänzt worden. Danach gilt nun das Werbeverbot für Fernbehandlungen nicht, wenn für die Behandlung nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

So entschied der BGH

Der BGH hat entschieden, dass die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG in seiner alten und neuen Fassung verstößt. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung handelt, ist die Beklagte verpflichtet, die Werbung zu unterlassen.

Die Beklagte hat unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch – etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall – untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

Allgemein anerkannte fachliche Standards

Nach neuem Recht ist das Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen. Zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist.

Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards ist vielmehr unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 630a Abs. 2 BGB), der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach können sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergeben. Die Beklagte hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass eine solche umfassende Fernbehandlung den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspricht. Da die Beklagte dies auch nicht behauptet hatte und insoweit kein weiterer Sachvortrag zu erwarten war, konnte der BGH abschließend entscheiden, dass die beanstandete Werbung unzulässig ist.

Quelle | BGH, Urteil vom 9.12.2021, I ZR 146/20, PM 224/2021

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Verjährung: Anforderungen an eine Zustellung im Ausland

Die Zustellung der Klage in einem anderen EU-Mitgliedstaat erfolgt „demnächst“, und ist damit rechtzeitig, wenn der Kläger sie mit einer durch das Gericht einzuholenden Übersetzung beantragt und den vom Gericht angeforderten Auslagenvorschuss unverzüglich einzahlt. So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH).

Ein Insolvenzverwalter verfolgte in Deutschland gegen eine französische Beklagte einen Insolvenzanfechtungsanspruch. Er hatte die in deutscher Sprache abgefasste Klageschrift kurz vor der Verjährung eingereicht und gebeten, ihm den Gerichtskostenvorschusses für deren Übersetzung und Zustellung mitzuteilen. Anfragen hat er unmittelbar beantwortet und den Vorschuss innerhalb von fünf Tagen eingezahlt. Die Übersetzung hat dann aber beinahe zehn Monate gedauert. Bis zur Zustellung hat es weitere zwei Monate gedauert.

Dem BGH genügte dies für eine verjährungshemmende Zustellung. Diese sei „demnächst“ im Sinne der Zivilprozessordnung (§ 167 ZPO) geschehen.

Quelle | BGH, Urteil vom 25.2.2021, IX ZR 156/19

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Dienstleistungsrecht: Vergütung für einen Geschäftskontakt

Die Vermittlung von Geschäftskontakten ohne Förderung konkreter Geschäftsabschlüsse kann Gegenstand eines Geschäftsbesorgungsvertrags sein. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

Folge: Es handelt sich dann um einen Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstleistungscharakter. Das OLG hat dieses zum Handelsvertretervertrag und zum Maklervertrag abgegrenzt. Es stellt sich daher die Frage, wie eine solche Dienstleistung vergütet wird.

Fehlt es an einer vereinbarten, taxmäßigen oder üblichen Vergütung, ergibt sich eine etwaige Vergütung des Dienstverpflichteten nach dem OLG nicht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 315, 316 BGB), also auf der Grundlage eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Gläubigers, sondern dies sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmen.

Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 30.9.2021, 18 U 74/20

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Berechnung der Verzugszinsen

Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten.

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 30. Juni 2022 beträgt -0,88 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht /  Basiszinssätze

Zeitraum Zinssatz
01.07.2021 bis 31.12.2021 -0,88 Prozent
01.01.2021 bis 30.06.2021 -0,88 Prozent
01.07.2020 bis 31.12.2020 -0,88 Prozent
01.01.2020 bis 30.06.2020 -0,88 Prozent
01.07.2019 bis 31.12.2019 -0,88 Prozent
01.01.2019 bis 30.06.2019 -0,88 Prozent
01.07.2018 bis 31.12.2018 -0,88 Prozent
01.01.2018 bis 30.06.2018 -0,88 Prozent
01.07.2017 bis 31.12.2017 -0,88 Prozent
01.01.2017 bis 30.06.2017 -0,88 Prozent
01.07.2016 bis 31.12.2016 -0,88 Prozent
01.01.2016 bis 30.06.2016 -0,83 Prozent
01.07.2015 bis 31.12.2015 -0,83 Prozent
01.01.2015 bis 30.06.2015 -0,83 Prozent
01.07.2014 bis 31.12.2014 -0,73 Prozent
01.01.2014 bis 30.06.2014 -0,63 Prozent
01.07.2013 bis 31.12.2013 -0,38 Prozent
01.01.2013 bis 30.06.2013 -0,13 Prozent
01.07.2012 bis 31.12.2012 0,12 Prozent
01.01.2012 bis 30.06.2012 0,12 Prozent
01.07.2011 bis 31.12.2011 0,37 Prozent
01.01.2011 bis 30.06.2011 0,12 Prozent
01.07 2010 bis 31.12.2010 0,12 Prozent
01.01.2010 bis 30.06.2010 0,12 Prozent
01.07 2009 bis 31.12.2009 0,12 Prozent
01.01.2009 bis 30.06.2009 1,62 Prozent
01.07.2008 bis 31.12.2008 3,19 Prozent
01.01.2008 bis 30.06.2008 3,32 Prozent
01.07.2007 bis 31.12.2007 3,19 Prozent