Oktober 2022

Arbeitsrecht

Kündigungsschutzklage: Bei gefälschtem Genesenennachweis droht Kündigung

Die Vorlage eines gefälschten Genesenennachweises anstelle eines tagesaktuellen Corona-Tests oder Impfnachweises kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das hat das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin entschieden und eine Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Regeln des Infektionsschutzgesetzes

Nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 28b Abs. 1 InfSchG in der vom 24.11.2021 bis 19.3.2022 gültigen Fassung) durften Beschäftigte Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können, nur nach Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder eines tagesaktuellen Tests im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung betreten.

Das war geschehen

Der als Justizbeschäftigter bei einem Gericht tätige Kläger legte einen Genesenennachweis vor, obwohl bei ihm keine Corona-Erkrankung festgestellt worden war, und erhielt so Zutritt zum Gericht ohne Vorlage eines aktuellen Tests oder Impfnachweises. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Genesenennachweis um eine Fälschung handelte, erklärte das Land Berlin als Arbeitgeber nach Anhörung des Justizbeschäftigten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Kündigung ist nach der Entscheidung des ArbG wirksam, weil der erforderliche wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege.

Justizbeschäftigter: erkennbar, dass Fälschung Konsequenzen haben würde

Der Arbeitgeber habe einen Zutritt nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28b Abs. 1 InfSchG gewähren dürfen. Den hier geregelten Nachweispflichten komme auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb sei die Verwendung eines gefälschten Genesenennachweises zur Umgehung dieser geltenden Nachweispflichten eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Rücksichtnahmepflichten. Eine vorherige Abmahnung dieses Sachverhalts sei nicht erforderlich. Es sei für den Kläger als Justizbeschäftigten ohne Weiteres erkennbar gewesen, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde. Auch im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von drei Jahren überwiege das arbeitgeberseitige Interesse an einer sofortigen Beendigung.

Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Quelle | ArbG Berlin, Urteil vom 26.4.2022, 58 Ca 12302/21, PM 12/22 vom 30.5.2022

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Rettungsassistent: Gleiche Arbeit, gleicher Lohn

Die Differenzierung im Stundenlohn (17 Euro/12 Euro) zwischen „hauptamtlichen“ (Voll- und Teilzeit) und „nebenamtlichen“ Arbeitnehmern (geringfügige Beschäftigung) ist nicht sachlich gerechtfertigt. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) München.

Ein als Minijobber beschäftigter Rettungsassistent wehrte sich, weil er fünf Euro weniger als die „hauptamtlichen“ Kollegen verdiene, obwohl er die gleiche Arbeit leiste. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht (ArbG) München verlor der Arbeitnehmer zunächst.

Doch er blieb hartnäckig. Mit Erfolg: Das LAG München sah das nämlich anders als das ArbG: Die Tatsache, dass der Arbeitgeber die „hauptamtlich“ Beschäftigten in den Dienstplan einteilen würden und die „nebenamtlich“ Beschäftigten mitteilen müssten, welche angebotenen Dienste sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertige die unterschiedliche Bezahlung nicht. Hierfür seien keine objektiven Gründe gegeben, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen würden und zur Zielerreichung geeignet und erforderlich seien. Auch würde die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entsprechen.

Die Sache ist noch nicht rechtskräftig. Denn der Arbeitgeber hat Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt.

Quelle | LAG München, Urteil vom 19.1.2022, 10 Sa 582/21

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Kündigung: Urlaub bei einem anderen Arbeitgeber wird angerechnet

Der Arbeitnehmer muss sich den ihm während des Kündigungsschutzrechtsstreits von einem anderen Arbeitgeber gewährten Urlaub auf seine Urlaubsansprüche gegen den alten Arbeitgeber anrechnen lassen. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen. Voraussetzung: Der Arbeitnehmer hätte die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig erfüllen können. Das gilt auch für den vertraglich vereinbarten Urlaub, der den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.

Eine Verkäuferin hatte nach ihrer fristlosen Kündigung eine Kündigungsschutzklage erhoben. Während des Verfahrens arbeitete sie bei einem anderen Arbeitgeber und nahm dort auch Urlaub.

Das LAG machte deutlich: Auch bei der Anrechnung des Urlaubs ist eine Gesamtberechnung anhand des im gesamten Anrechnungszeitraum gewährten Urlaubs vorzunehmen. Die Arbeitnehmerin konnte daher nicht einerseits bei dem neuen Arbeitgeber Urlaub nehmen und andererseits beim alten Arbeitgeber für die gleiche Zeit Urlaubsabgeltung verlangen.

Quelle | LAG Niedersachsen, Urteil vom 2.5.2022, 15 Sa 885/21

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Kündigungsschutzverfahren: Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers. Ist ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber entstanden, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Die Insolvenzordnung bindet den Insolvenzverwalter nur an bereits vom Schuldner begründete Arbeitsverhältnisse, kennt jedoch keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters, also keine Pflicht, Verträge einzugehen. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen. So entschied es aktuell das Bundesarbeitsgericht (BAG).

Der Kläger war bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Arbeitnehmern beschäftigt. Dieser kündigte das Arbeitsverhältnis wirksam zum 31.7.19 wegen Betriebsstilllegung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, noch während der Kündigungsfrist sei ein Betriebsübergang auf die spätere Schuldnerin beschlossen und am 1.8.19 vollzogen worden. Er nahm deshalb die spätere Schuldnerin, die etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, auf Wiedereinstellung in Anspruch. Gegen eine von der späteren Schuldnerin erklärte vorsorgliche Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Kläger erklärte mit Schriftsatz vom 29.6.20 die Aufnahme des Verfahrens. Der Beklagte widersprach der Aufnahme. Das LAG hat mit Zwischenurteil festgestellt, dass das Verfahren weiterhin unterbrochen ist.

Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG aus prozessualen Gründen Erfolg. Der richterrechtlich entwickelte Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, der Beschäftigungsbedarf werde bei Ablauf der Kündigungsfrist entfallen, als fehlerhaft erweist, etwa, weil es zu einem Betriebsübergang kommt. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, sodass der Rechtsstreit an sich nicht unterbrochen wird. Wird jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch – wie im vorliegenden Fall – zugleich die Wirksamkeit einer Kündigung angegriffen, führt das zur Unterbrechung auch bezüglich des Streits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge.

Quelle | BAG, Urteil vom 25.5.22, 6 AZR 224/21, PM 19/22

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Baurecht

Honorarvertrag: Bauhandwerkersicherung: Unternehmer muss nur schlüssig darlegen

Bauunternehmer können von ihrem Auftraggeber Sicherheit für das gesamte noch nicht gezahlte Honorar verlangen. So steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650f BGB). Sie können kündigen, wenn der Bauherr die Sicherheit nicht innerhalb einer angemessenen Frist stellt. Ihr Sicherungsverlangen ist berechtigt, wenn sie den Anspruch schlüssig darlegen. Ob die erforderlichen Annahmen dann auch tatsächlich zutreffen, ist jedoch nicht im Sicherungsverfahren zu klären. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle klargestellt.

Das war geschehen

Ein Bauplaner war mit Architektenleistungen beauftragt worden. Dann zerstritten sich Auftragnehmer und Auftraggeber. Die Situation eskalierte. Der Auftraggeber kündigte den Planervertrag außerordentlich aus wichtigem Grund und verlangte zu viel gezahltes Honorar zurück. Der Planer erhobt Widerklage und forderte den Auftraggeber auf, ihm eine Sicherheit zu stellen. Darüber hinaus machte er geltend, dass ihm ein Honorar auf Grundlage der Mindestsätze gemäß der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) oberhalb des vereinbarten Pauschalhonorars zustehe.

So entschied das Oberlandesgericht

Das OLG gab dem Planer Recht. Seine Darlegungen zur Höhe der Sicherheit (unter Berücksichtigung erhaltener Abschlagszahlungen) seien ausreichend gewesen. Im Sicherheitenprozess stehe im Vordergrund, dem Unternehmer zu einer schnellen Sicherheit zu verhelfen. Rechtlich anspruchsvolle Fragen seien dort dagegen nicht aufzuklären. Als solche gelten die Fragen, ob sich die Höhe der Vergütung nach dem Preisrecht der HOAI oder nach der Honorarvereinbarung richte, und ob die Angaben zur Honorarzone und zu den anrechenbaren Kosten zutreffen.

Quelle | OLG Celle, Urteil vom 27.4.2022, 14 U 96/1

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Familien- und Erbrecht

Adoptionsverfahren: Stiefkindadoption, wenn der leibliche Vater inhaftiert ist

Heutzutage gibt es immer mehr „Patchwork“-Familien. In manchen Fällen stellt sich dann die Frage, ob die Adoption eines Kindes durch den neuen Lebenspartner des einen Elternteils in Frage kommt. Hierzu hat das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg kürzlich in einem interessanten Fall entschieden.

Adoption: Kindeswohl steht im Vordergrund

Grundsätzlich kann eine Adoption ausgesprochen werden, wenn dies dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. Vor allem bei der Stiefkindadoption ist das schützenswerte Interesse des Kindes an der Aufrechterhaltung der familiären Bande zu seinem leiblichen anderen Elternteil zu beachten, wenn dieses Band infolge der Stiefkindadoption durchtrennt würde. Für die Adoption des Kindes durch den Stiefelternteil kann dabei etwa sprechen, dass zwischen Kind und dem durch die Adoption zurücktretenden leiblichen Elternteil keine Beziehung (mehr) besteht, etwa weil dieser verstorben oder unbekannt ist oder die Beziehung so stark gelockert ist, dass sich das zwischen dem Kind und dem leiblichen Elternteil bestehende Eltern-Kind-Verhältnis nur noch als leere rechtliche Hülle darstellt. Als gewichtiger Vorteil der Annahme als Kind kann sich in diesem Fall der Umstand erweisen, dass der Stiefelternteil nach der Annahme des Kindes eine bisher bereits faktisch gemeinsam wahrgenommene elterliche Verantwortung auch rechtlich in Gestalt der gemeinsamen elterlichen Sorge ausüben kann.

Das war geschehen

In dem vom OLG entschiedenen Fall beantragte der Stiefvater eines achtjährigen Kindes die Adoption. Der leibliche Vater ist seit 2016 inhaftiert und hat der Adoption zunächst widersprochen.

Das Amtsgericht (AG) – Familiengericht – hatte den Antrag des Stiefvaters auf Ersetzung der Einwilligung des leiblichen Vaters nach Einholung einer fachlichen Stellungnahme des Jugendamtes und mit der nun angefochtenen Entscheidung auch den Antrag des Antragstellers auf Adoption mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle die Einwilligung des leiblichen Vaters.

Leiblicher Vater: Einwilligung zur Adoption zurückgenommen

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vor dem OLG hat der leibliche Vater zunächst seine Einwilligung in die Adoption erklärt, diese aber im Hinblick auf die erwartete Haftentlassung wieder zurückgenommen. Das OLG hat die Beschwerde des Stiefvaters mit der Begründung zurückgewiesen, dass der durch den Ausspruch der Adoption eventuell entstehende Vorteil den Nachteil des irreversiblen Abschneidens des rechtlichen Bandes des Kindes zu seinem leiblichen Vater und dessen Verwandten nicht ausgleichen kann.

Kindeswunsch: mehr Kontakt zu leiblichem Vater

Das Kind habe zwar erklärt, dass sich der von ihm ebenfalls als „Papa“ bezeichnete Stiefvater sehr gut um es kümmere, indem er z.B. für das Kind koche und es zur Schule bringe. Das Kind hatte aber ebenso auch den Wunsch geäußert, häufiger Kontakt zu seinem leiblichen Vater haben zu können und diesen ebenfalls als Vater angesehen.

Oberlandesgericht: Hier kann man auf eine Adoption verzichten

Das OLG hat die Zurückweisung des Adoptionsantrags weiter damit begründet, dass das Gesetz auch den Stiefeltern z.B. in Angelegenheiten des täglichen Lebens weitreichende rechtliche Befugnisse einräume. Folglich müsse immer geprüft werden, ob diese rechtliche Flankierung der Stiefeltern nicht ausreichend sei, um dem Interesse des Kindes an der Verfestigung einer zum Stiefelternteil bestehenden sozialen Eltern-Kind-Beziehung Genüge zu tun und deshalb auf eine Adoption verzichtet werden könne. Dies sei vorliegend der Fall.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Oldenburg, Beschluss vom 8.4.2022 4 UF 101/21, PM 26/22

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Scheidung und Versorgungsausgleich: Wenn sich die Ehefrau von ihrem inhaftierten Mann trennen möchte …

Das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken hat nun entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Trennungswille eines Ehegatten zu erkennen ist, wenn der andere inhaftiert ist.

Die Eheleute schlossen 2002 die Ehe. Der Ehemann hatte keine abgeschlossene Ausbildung, war seit Jahren drogenabhängig und führte nur kurzzeitige Hilfstätigkeiten aus. Die Ehefrau war hingegen durchgehend berufstätig. 2020 wurde dem Mann, der eine Haftstrafe verbüßte, der Scheidungsantrag in der Justizvollzugsanstalt (JVA) zugestellt. Das Amtsgericht (AG) hat die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Mannes blieb erfolglos.

Eine Ehe kann erst nach Abschluss des Trennungsjahrs geschieden werden. Fehlt das tägliche Zusammenleben, ist darauf abzustellen, wann der Trennungswille des einen Ehegatten für den anderen erkennbar war. Von dem Trennungswillen der Ehefrau hat der Mann jedenfalls mit Zugang des Antrags auf Verfahrenskostenhilfe für den beabsichtigten Scheidungsantrag erfahren. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens ist daher das Trennungsjahr abgelaufen.

Die Ehefrau hatte Beschwerde eingelegt, da sie den Versorgungsausgleich für grob unbillig hielt. Das OLG sah dies anders. Die Erwerbslosigkeit und die Straftaten des Mannes schließen den Versorgungsausgleich nicht wegen grober Unbilligkeit aus. Für das Gericht war wichtig: Der Ehefrau war bei der Heirat bekannt, dass aufgrund der Drogenabhängigkeit ihres Mannes, der über keine Ausbildung verfügt, voraussichtlich nicht mit erheblichen Rentenanwartschaften zu rechnen ist. Daran hat sich während der Ehe nichts Wesentliches geändert.

Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21.4.2021, 2 UF 159/20

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10-jährige Haltefrist: Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim

Ein Erbe verliert nicht die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim, wenn ihm die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt entschieden.

Die Klägerin hatte das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können.

Der BFH hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Grundsätzlich setzt die Steuerbefreiung gemäß Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) voraus, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“, so der BFH, erfasse nicht nur den Fall der Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, genügten zwar nicht. Anders liege es, wenn der Erbe aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims so erheblicher Unterstützung bedürfe, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei. Das FG muss deshalb unter Mitwirkung der Klägerin das Ausmaß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen prüfen.

Quelle | BFH, Urteil vom 1.12.21, II R 18/20, PM 28/22 vom 7.7.2022

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Erbschaft: Vermächtnisnehmer ist nicht am Verfahren zur Ernennung des Testamentsvollstreckers zu beteiligen

Der Vermächtnisnehmer ist an dem Verfahren des Nachlassgerichts zur Ernennung des Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht zu beteiligen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf.

Der Vermächtnisnehmer war durch letztwillige Verfügung des Erblassers mit zwei Vermächtnissen bedacht worden. Das eine Vermächtnis räumt ihm das lebenslange Recht ein, eine Wohnung des Erblassers sowie ein zu dieser Wohnung gehörendes Zimmer unentgeltlich zu bewohnen. Das zweite Vermächtnis bezieht sich auf die Wohnungseinrichtung nebst dem dazugehörigen Hausrat. Der Erblasser hatte zudem einen Testamentsvollstrecker berufen. Das notariell beurkundete Testament sieht dazu eine Abwicklungsvollstreckung sowie nach erfolgter Erbauseinandersetzung eine daran anschließende Dauervollstreckung vor, diese allerdings befristet.

Das Amtsgericht (AG) führt den Vorgang über die Ernennung des Testamentsvollstreckers und die Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses. Der Vermächtnisnehmer möchte an beiden Verfahren beteiligt werden und begehrt, die betreffenden Akten des Nachlassgerichts einzusehen.

Nach Ansicht des OLG ist er aber nicht zu beteiligen. Das Gesetz (hier: § 345 des „Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ – FamFG) liste für verschiedene Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit abschließend die Personen auf, die von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen werden müssen und die das Gericht darüber hinaus am Verfahren beteiligen kann.

Das Verfahren zur Ernennung eines Testamentsvollstreckers und zur Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses sei in Absatz 3 der o. g. Vorschrift geregelt. An jenem Verfahren sei der Testamentsvollstrecker zwingend beteiligt. Daneben könne das Gericht die Erben und einen etwaigen Mitvollstrecker hinzuziehen. Auf ihren Antrag hin seien diese Personen zu beteiligen. Ein Recht auf Einsicht in die Testamentsvollstreckerakte könne sich zwar ergeben, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse an der Einsicht glaubhaft gemacht werden kann. Der Vermächtnisnehmer habe hier aber weder dargelegt noch sei sonst ersichtlich, inwieweit es ihm die Akteneinsicht erleichtern könnte, seinen Anspruch aus den beiden Vermächtnissen durchzusetzen.

Quelle | OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.4.22, I-3 Wx 86/21

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Mietrecht und WEG

BGH-Entscheidung: Vermieter darf Mieterhöhung reduzieren

Der Vermieter ist berechtigt, innerhalb eines Mieterhöhungsverfahrens sein formell ordnungsgemäßes vorprozessuales Erhöhungsverlangen nachträglich zu ermäßigen – etwa mit Erhebung der Zustimmungsklage. Das hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt.

Im Fall des BGH hatte die Vermieterin zunächst eine Erhöhung von 65 Euro monatlich verlangt, im Rahmen der Klage auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen aber nur noch rund 45 Euro begehrt. Sie hatte auf werterhöhende Wohnmerkmale im Prozess verzichtet. Die Mieter waren der Meinung, die Vermieterin hätte erst vorgerichtlich ein neues Mieterhöhungsverlangen zustellen müssen.

Das sah der BGH nicht so. Einer nochmaligen – den Lauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 558b Abs. 1, 2 BGB) geregelten Fristen von Neuem auslösenden – Erklärung und Begründung bedarf es hierfür nach Ansicht des BGH nicht.

Quelle | BGH, Urteil vom 6.4.22, VIII ZR 219/20

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Grobe Fahrlässigkeit: Regressanspruch eines Gebäudeversicherers gegen die Mieter

Wird eine Mietsache beschädigt, kann die Gebäudeversicherung vom Mieter nur Regress verlangen, wenn der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. So entschied es nun das Landgericht (LG) Oldenburg.

Bei dem Versuch des Mieters, einen in dem angemieteten Wohnhaus vorhandenen Kamin wieder zu entflammen, entstand ein Brand. Im Zuge dieses Versuchs griff der Mieter auf Brennspiritus zurück, wobei der konkrete Einsatz des Spiritus streitig ist. Die Mieterin, die nichteheliche Lebenspartnerin des Mieters, war am Entfachen des Kamins nicht unmittelbar beteiligt. Sie hatte zuvor den Brennspiritus gekauft. Neben dem Kamin lagerten beide eine Flasche Brennspiritus, als der Brand ausbrach. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Mieter wurde eingestellt.

Wichtig: Steht fest, dass nur einer der Mieter den Schaden grob fahrlässig verursacht hat, kann die Gebäudeversicherung gleichwohl Regress gegen alle aus dem Mietvertrag haftenden Mitmieter nehmen.

Quelle | LG Oldenburg, Urteil vom 22.6.2021, 16 O 4029/20

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Wohnungseigentumsrecht: Fälligkeit der Sonderumlage

WEG-Sonderumlagen werden erst durch einen Beschluss über die Erhebung der Sonderumlage und den anschließenden Abruf durch den Verwalter fällig. So sieht es das Landgericht (LG) Karlsruhe.

Allerdings können die Eigentümer etwas anderes bestimmen. Dies muss aber in der Eigentümerversammlung geschehen. Die Beschlusskompetenz zur abweichenden Fälligkeitsbestimmung hat die Eigentümerversammlung auch nach neuem Wohnungseigentumsrecht (jetzt: § 28 Abs. 3 WEG).

Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 1.6.2022, 11 T 22/22

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Verbraucherrecht

Unfallversicherungsschutz: Psychische Folgen eines Unfalls

Nach den Allgemeinen Bedingungen der Unfallversicherung (AUB 2008) sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgenommen, auch wenn sie Unfallfolgen sind. Für diesen Leistungsausschluss ist es unerheblich, ob sich die psychischen Reaktionen als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung darstellen, hat nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschieden und Ansprüche wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Armverletzung zurückgewiesen.

Der Kläger ist bei der Beklagten unfallversichert (Invaliditätsgrundsumme: 25.000 Euro). Einbezogen wurden die AUB 2008. Vom Versicherungsschutz ausgenommen sind „krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch den Unfall verursacht wurden“.

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen wegen unfallbedingter Invalidität geltend. Er beruft sich auf einen Unfall, bei dem er seinen rechten Ellenbogen an einem Heizkörper angestoßen habe mit einer anschließenden großflächigen Infektion des betroffenen Arms. Durch die Armverletzung sei es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen. Die Beklagte verweist auf ihren Leistungsausschluss für psychische Reaktionen.

Das Landgericht (LG) hatte die Beklagte wegen festgestellter Dauerfolgen am Arm zur Zahlung von 12.500 Euro verurteilt und Ansprüche wegen krankhafter Veränderungen der Psyche zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde wegen des vereinbarten Leistungsausschlusses für psychische Reaktionen keine weitere Invaliditätsleistung zu. Auch nach den Behauptungen des Klägers habe nicht der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierende Entzündungsreaktion unmittelbar zu einer Veränderung der Hirnstruktur geführt. Er berufe sich vielmehr selbst auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Funktionseinschränkungen am Arm.

Ob diese psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen nachvollziehbar sei, könne offenbleiben. Der Ausschlusstatbestand erfasse nicht nur „Fehlverarbeitungen“. Es bestehe vielmehr schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers „rein psychisch-reaktiver Natur ist“, wie hier. Der Ausschluss knüpfe an objektiv fassbare Vorgänge an. Es sei mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar, auf das Kriterium der „medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses auf eine Ursachenbetrachtung abziele, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. Nach der Klausel seien jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Nichtzulassungsverfahren läuft vor dem Bundesgerichtshof (BGH) unter dem Aktenzeichen IV ZR 302/22.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13.7.2022, 7 U 88/21, PM 74/22

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Nachbarrecht: Schuldrechtliches Wegerecht ist nicht kündbar

Bei einem zugunsten von Bewohnern eines Nachbargrundstücks schuldrechtlich begründeten Wegerecht darf dieses nicht gekündigt und ohne Zustimmung der Nachbarn nicht aufgehoben werden. So entschied es nun das Landgericht (LG) Aachen.

Wegerecht vereinbart

Immobilienkäufer vereinbarten mit den Verkäufern ein Wegerecht zugunsten der Nachbarn. Die Käufer verpflichteten sich, einen neben dem Haus und über den Hof verlaufenden Weg weiter zu dulden, offenzuhalten, zu unterhalten und die Benutzung durch die jeweiligen Bewohner der benachbarten Mittelwohnung zu gestatten und diese Pflicht an Rechtsnachfolger zu übergeben. Eine einseitige Beendigung durch die Käufer war ausgeschlossen. Die Käufer kündigten später das Wegerecht und verlangten Herausgabe des Gartentorschlüssels sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, den Zugang zu ihrem Grundstück für die Nachbarn zu erhalten.

Amtsgericht: Kündigung unwirksam

Vor dem Amtsgericht (AG) hatten die Käufer keinen Erfolg. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das Wegerecht ist durch den Kaufvertrag als echter Vertrag zugunsten der Nachbarn wirksam eingeräumt worden. Dass ein eigenes Leistungsrecht und somit ein echter Vertrag zugunsten Dritter vorliegt, war dem Vertragszweck zu entnehmen. Der Zustand, dass die beklagten Nachbarn ihren Garten auch über das Grundstück der Käufer verlassen konnten, sollte aufrechterhalten und auch an Rechtsnachfolger weitergegeben werden. Damit sollten die Nachbarn begünstigt und berechtigt werden, das schuldrechtlich begründete Wegerecht durchzusetzen.

Der o. g. Kündigungsausschluss sei auch wirksam, so das LG. Denn § 544 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist nicht anwendbar. Vorliegend sei nämlich kein Mietvertrag über 30 Jahre gegeben, sondern ein Leihvertrag. Dieser kennt keine Bindungsgrenze. Selbst, wenn § 544 BGB mittelbar anzuwenden sei, wäre der Bindungszeitraum (30 Jahre) hier noch nicht abgelaufen.

Quelle | LG Aachen, Urteil vom 5.8.2021, 3 S 2/21

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Verkehrsrecht

Entzug der Fahrerlaubnis: Kein Beweisverwertungsverbot bei anonymer Anzeige wegen Drogenkonsum

Eine Fahrerlaubnis kann auch aufgrund einer anonymen Anzeige entzogen werden. Das machte das Verwaltungsgericht (VG) Cottbus deutlich und lehnte den Eilantrag eines Autofahrers gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis ab.

Das war geschehen

Ursache des Verfahrens war, dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen hatte, nachdem sie von einem der Polizei anonym zugespielten Drogengutachten Kenntnis erlangt hatte. Das Drogengutachten war beim Antragsteller in einem familienrechtlichen Verfahren durchgeführt worden. Es wies den Konsum von Kokain und Amphetamin nach. Der Antragsteller wandte sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis. In seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz machte er hinsichtlich des Gutachtens ein Beweisverwertungsverbot geltend. Außerdem habe er vor drei Monaten ein Entzugsprogramm durchgeführt und befinde sich in Behandlung. Daher sei ein weiterer Drogenkonsum nicht zu erwarten.

Schutzinteresse der Allgemeinheit überwiegt

Das Gericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Gutachtens nicht bestehe. Es sei zu unterscheiden zwischen strafrechtlichen und gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis diene dem Schutz von Leben und Gesundheit unbeteiligter Verkehrsteilnehmer vor Gefahren, die von ungeeigneten Kraftfahrern ausgingen. Dieses Schutzinteresse überwiege das Interesse des Antragstellers, anzunehmen, dass das ihn betreffende Gutachten außerhalb des familienrechtlichen Verfahrens keine Folgen habe. Im Hinblick auf staatliche Schutzpflichten sei es nicht hinnehmbar, wenn die Fahrerlaubnisbehörde trotz Kenntnis von der Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers nicht einschreiten dürfte und die Gefahr in Kauf nehmen müsste.

Harte Drogen: kein Führen von Kraftfahrzeugen

Durch den Konsum harter Drogen (Kokain, Amphetamin) habe sich der Antragsteller auch zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erwiesen, weshalb ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen sei. Dabei sei es zum jetzigen Zeitpunkt unerheblich, dass der Antragsteller an einer Drogenentzugstherapie teilgenommen habe und sich auch weiterhin in Behandlung befinde. Eine Entwöhnung und Entgiftung sei erst nach einer einjährigen Abstinenzphase anzunehmen. Da eine einjährige Abstinenz noch nicht nachgewiesen sei, habe der Antragsteller seine Fahreignung noch nicht wiedererlangt.

Quelle | VG Cottbus, Beschluss vom 28.4.2022, VG 7 L 82/22

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Parkmanöver: Wenn der Blumenkübel im Weg steht…

Muss eine Stadt Schadenersatz leisten, wenn ein Autofahrer bei Dunkelheit mit einem zur Verkehrsberuhigung in einer Spielstraße aufgestellten Blumenkübel kollidiert? Diese Frage hat nun das Landgericht (LG) Koblenz entschieden.

Ein Autofahrer hatte seine Tochter besucht. Diese wohnte in einer Spielstraße. Zur Verkehrsberuhigung hatte die Stadt dort zwei anthrazitfarbene Blumenkübel aufgestellt. Eine besondere Markierung oder Kennzeichnung fehlte. Als der Mann abends gegen 18:00 Uhr in die Straße einbog, übersah er einen der beiden Kübel und kollidierte mit ihm. An seinem Auto entstand ein Schaden von rund 1.300 Euro.

Der Kläger verlangte nun von der Stadt den Ersatz des Schadens. Seine Begründung: An jenem Abend sei es dunkel, regnerisch und neblig gewesen. Die Blumenkübel seien von der Stadt nicht ausreichend gekennzeichnet worden, sodass er sie trotz äußerst langsamer Fahrweise nicht habe erkennen können. Die Stadt habe auch nichts unternommen, nachdem es in der Vergangenheit schon mehrfach zu Unfällen gekommen sei. Der Kläger meinte daher, nicht er, sondern die Beklagte sei für den Schaden verantwortlich. Die Stadt verweigerte die Zahlung. Sie meinte, der Kläger müsse für die Folgen seiner eigenen Unachtsamkeit selbst aufkommen.

So sah es auch das LG: Zwar habe der Stadt die Sicherung des Verkehrs in der Straße oblegen. Die Begrenzung einer verkehrsberuhigten Straße durch Blumenkübel sei aber zulässig. Der Autofahrer sei in jedem Fall ganz überwiegend selbst an dem Unfall schuld. Ihm sei nämlich von früheren Besuchen bei seiner Tochter bekannt gewesen, dass in der Straße Blumenkübel aufgestellt waren. Bei Dunkelheit habe er nur so schnell fahren dürfen, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke hätte anhalten können. Außerdem habe er in dem verkehrsberuhigten Bereich ohnehin nur Schritttempo fahren dürfen. Einen Fahrer, der bei Dunkelheit auf ein unbeleuchtetes unbewegtes Hindernis auffahre, treffe regelmäßig ein Verschulden. Unter diesen Umständen sei dem Kläger ein derart schwerwiegender Verkehrsverstoß unterlaufen, dass es auf die Frage nicht mehr ankomme, ob die Blumenkübel ausreichend gekennzeichnet waren.

Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 5.8.2022, 5 O 187/21

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Unfallflucht: Auch Fußgänger können sich strafbar machen

Eine Strafbarkeit wegen Unfallflucht – unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – ist nicht nur Autofahrern vorbehalten. Auch Fußgänger können sich strafbar machen. Das musste eine 57-jährige Frau vor dem Amtsgericht (AG) München erfahren. Das AG verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 60 Euro.

Die Angeklagte war im Sommer 2021 abends mit ihrem Hund am Isarhochufer spazieren gegangen. Direkt neben dem Fußweg verläuft ein Radweg. Auf diesem fuhr die Geschädigte mit ihrem Rad. Die Angeklagte ließ ihren Hund von der Leine, der zusammen mit dem Hund ihrer Begleiterin umhertollte. Dabei geriet er vor das Rad der Geschädigten, deren Vorderrad blockierte. Die Geschädigte überschlug sich und blieb zunächst bewegungslos liegen. Am Rad entstand ein Schaden von etwa 120 Euro. Die Geschädigte wurde dabei erheblich verletzt. Sie erlitt u.a. ein Schleudertrauma, Schürfwunden und Prellungen. Sie war eine Woche arbeitsunfähig krankgeschrieben. Eine Begleiterin der Geschädigten kümmerte sich um die Erstversorgung. Die Angeklagte hingegen entfernte sich, ohne sich um die gestürzte Person zu kümmern, und ohne ihre Personalien zu hinterlassen. Die Angeklagte räumte ihr Fehlverhalten in der Hauptverhandlung ein. Sie erklärte, es tue ihr leid, dass der Unfall passiert sei. Ihre Reaktion begründete sie damit, dass sie ihren Hund habe suchen müssen. Er sei so panisch gewesen, dass sie Angst gehabt habe, er laufe auf die Straße. Der Hund habe seit dem Vorfall Angst vor Fahrrädern, es habe monatelanger Arbeit mit Hundetrainern bedurft, bis der Hund wieder Gassi gehen wollte. Zudem verpflichtete sie sich, 800 Euro Schmerzensgeld an die Geschädigte zu zahlen.

Das AG sah zwar zugunsten der Angeklagten, dass sie die Tatumstände eingeräumt hat, bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und ihr Bedauern über die Tatfolgen nicht nur für ihren eigenen Hund, sondern auch für die Geschädigte in Wort und vor allem im zu Protokoll gegebenen Schuldanerkenntnis über ein Schmerzensgeld von 800 Euro zum Ausdruck gebracht hat. Zugunsten der Angeklagten sprach, dass sie sich spontan wegen der Suche nach ihrem abgängigen Hund vom Unfallort entfernt hat. Es wäre der Angeklagten jedoch durch kurze Angabe ihrer Personalien möglich gewesen – wie später geschehen – ihren Hund wiederzufinden.

Quelle | AG München, Urteil vom 11.4.22, 941 Cs 442 Js 190826/21

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Bundesarbeitsgericht: Einführung elektronischer Zeiterfassung: Müssen alle nun „zurück zur Stechuhr“?

Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (hier: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.

Das war geschehen

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht (ArbG) eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

So entschieden die Instanzen

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem BAG Erfolg. Der Betriebsrat muss in sozialen Angelegenheiten nur mitbestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggf. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Weitreichende Folgen

Und nun? Müssen alle Arbeitnehmer „zurück zur Stechuhr“? Da das BAG keine Gesetzgebungskompetenz hat, ergibt sich daraus zunächst kein sofortiger Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Hier muss auf eine gesetzliche Vorgabe gewartet werden. Bisher hat der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgabe des EuGH noch nicht reagiert. Dies wird er aber tun müssen. Fraglich ist dabei, wie dies umgesetzt werden kann. So sollen auch künftig flexible Arbeitszeitmodelle (z.B. Vertrauensarbeitszeit) möglich sein. Auch darf der bürokratische Aufwand nicht zu hoch werden, um die Produktivität der Arbeitnehmer nicht einzuschränken. Fragen von Homeoffice, Überstunden, etc. sind zu beantworten. Das Bundesarbeitsministerium teilte dazu mit, dass die weitere Vorgehensweise geprüft werde. Mit schnellen Ergebnissen ist wohl vorerst nicht zu rechnen. Gleichwohl sollte sich jeder Arbeitgeber bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie er eine entsprechende Dokumentation vornehmen könnte.

Quelle | BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21, PM 35/2

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Berechnung der Verzugszinsen

Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten.

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2022 bis zum 31. Dezember 2022 beträgt -0,88 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht /  Basiszinssätze

Zeitraum Zinssatz
01.01.2022 bis 30.06.2022 -0,88 Prozent
01.07.2021 bis 31.12.2021 -0,88 Prozent
01.01.2021 bis 30.06.2021 -0,88 Prozent
01.07.2020 bis 31.12.2020 -0,88 Prozent
01.01.2020 bis 30.06.2020 -0,88 Prozent
01.07.2019 bis 31.12.2019 -0,88 Prozent
01.01.2019 bis 30.06.2019 -0,88 Prozent
01.07.2018 bis 31.12.2018 -0,88 Prozent
01.01.2018 bis 30.06.2018 -0,88 Prozent
01.07.2017 bis 31.12.2017 -0,88 Prozent
01.01.2017 bis 30.06.2017 -0,88 Prozent
01.07.2016 bis 31.12.2016 -0,88 Prozent
01.01.2016 bis 30.06.2016 -0,83 Prozent
01.07.2015 bis 31.12.2015 -0,83 Prozent
01.01.2015 bis 30.06.2015 -0,83 Prozent
01.07.2014 bis 31.12.2014 -0,73 Prozent
01.01.2014 bis 30.06.2014 -0,63 Prozent
01.07.2013 bis 31.12.2013 -0,38 Prozent
01.01.2013 bis 30.06.2013 -0,13 Prozent
01.07.2012 bis 31.12.2012 0,12 Prozent
01.01.2012 bis 30.06.2012 0,12 Prozent
01.07.2011 bis 31.12.2011 0,37 Prozent
01.01.2011 bis 30.06.2011 0,12 Prozent
01.07 2010 bis 31.12.2010 0,12 Prozent
01.01.2010 bis 30.06.2010 0,12 Prozent
01.07 2009 bis 31.12.2009 0,12 Prozent
01.01.2009 bis 30.06.2009 1,62 Prozent
01.07.2008 bis 31.12.2008 3,19 Prozent
01.01.2008 bis 30.06.2008 3,32 Prozent