September 2023

Arbeitsrecht

Vergütungsfortzahlung: Freistellung: Was Arbeitnehmer nachweisen müssen

Wer sich auf eine dauerhafte und bezahlte Freistellung beruft, muss diese nachweisen. Einen solchen Nachweis konnte ein Arbeitnehmer in einem aktuellen Fall des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf nicht erbringen.

Das war geschehen

Der Kläger war seit 1994 im Bereich der Grünpflege bei der beklagten Stadt tätig. Er war einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und tarifvertraglich ordentlich unkündbar. Er verdiente zuletzt monatlich 3.200 Euro brutto. Im Jahr 2015 erfolgte eine Abordnung zum Ordnungsamt. Mit einstweiligem Verfügungsverfahren erreichte der Kläger, dass die Abordnung Ende 2015 unter der Voraussetzung einer vertrauensärztlichen Untersuchung nicht endete. Die Stadt teilte dem Kläger daraufhin mit, dass, sofern er seine Arbeitskraft nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit anbiete, diese bis auf Widerruf nicht angenommen werde, insbesondere nicht vor dem Vorliegen des amtsärztlichen Untersuchungsergebnisses. Es werde auf das persönliche Anbieten der Arbeitsleistung verzichtet und der Arbeitswille unterstellt. Gleichzeitig zahlte die Stadt eine Vergütung nach den Grundsätzen des Annahmeverzugslohns.

Ein Versetzungsantrag des Klägers an das Ordnungsamt scheiterte. Im November 2017 bot die Stadt dem Kläger eine Einsatzmöglichkeit im Amt für Straßen und Verkehr an. Trotz mehrfacher Versuche kam es nicht zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und der Stadt. In einem weiteren gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Essen erklärte die Stadt nochmals, dass eine Tätigkeit im Bereich Straßen und Verkehr für den Kläger vorhanden sei. Das Verfahren wurde ruhend gestellt und der Kläger nahm einen Termin zum Kennenlernen wahr. Dieser verlief negativ. Nach der Vorstellung des Klägers in einem Museum im Frühjahr 2018 kam es dort zu keiner Einstellung. Der Kläger ist seitdem unbeschäftigt. Er erhielt gleichwohl fortlaufend seine vereinbarte Vergütung. Die Stadt forderte den Kläger Anfang 2022 auf, im Rathaus zu erscheinen, um über seine weitere Tätigkeit zu sprechen. Hierzu wurde kein Einvernehmen erzielt.

Das wollte der Kläger

Der Kläger hat mit der Klage begehrt, festzustellen, dass er seitens der Stadt unwiderruflich und unter Fortzahlung seiner Vergütung freigestellt worden sei. Der für ihn zuständige Sachgebietsleiter habe dies bereits im Februar 2018 erklärt. Er habe ausdrücklich nachgefragt, wie lange dies dauern solle. Der Sachgebietsleiter habe geantwortet, dass dies dauerhaft und unwiderruflich sei. Er brauche auch keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr zu führen. Dem hat die Stadt widersprochen. Eine entsprechende Zusage habe es nicht gegeben. Hierzu sei der Sachgebietsleiter zudem nicht befugt gewesen. Außerdem würden Personalgespräche bei ihr auf Arbeitgeberseite grundsätzlich durch zwei Personen geführt.

Arbeitsgericht wies Klage ab

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Abrede zu einer dauerhaften unwiderruflichen Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung habe der Kläger nach Vernehmung einer Zeugin, einer Bekannten des Klägers, und eines Zeugen, des Sachgebietsleiters, nicht beweisen können.

Landesarbeitsgericht bestätigt Arbeitsgericht

Nachdem der Kläger den im ersten Kammertermin vor dem LAG geschlossenen Vergleich fristgerecht widerrufen hatte, hat es nun in der Sache entschieden. Es hat die gegen das Urteil des ArbG gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Seine Entscheidung ist damit rechtskräftig.

Das LAG hat insbesondere die Beweiswürdigung des ArbG nicht beanstandet. Im Übrigen, so das LAG, war die behauptete Erklärung bei Würdigung aller Umstände ohnehin nicht im Sinne einer Freistellung zu verstehen, die tatsächlich unwiderruflich war. Und weiter fehlte es an der erforderlichen Vollmacht des Sachgebietsleiters zu der vom Kläger behaupteten Erklärung.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 2.5.2023, 8 Sa 594/22, PM 17/23

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Unzumutbarkeit: Auflösungsantrag des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess

Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer ein Fortsetzen des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, muss das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis auflösen und den Arbeitgeber verurteilen, eine angemessene Abfindung zu zahlen. So hat es jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg entschieden.

Es kommt auf die Unzumutbarkeit an

Dieser Grundsatz folgt aus dem Kündigungsschutzgesetz (hier: § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG). In entsprechenden Fällen ist meist die Frage der Unzumutbarkeit ausschlaggebend. Dazu hat das LAG entschieden: Die gegen den Arbeitnehmer zum Ausdruck kommende, durch geänderte und schlechte Arbeitsbedingungen bei der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs gekennzeichnete feindselige Haltung des Arbeitgebers kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers rechtfertigen.

Das war geschehen

In dem Fall des LAG war der Arbeitgeber in erster Instanz zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verurteilt worden. Während des Berufungsverfahrens hatte er ihm die bisherigen Aufgaben nicht mehr zugewiesen. Er hat ihn vielmehr in eine andere Niederlassung versetzt.

„Feindliche Haltung“ des Geschäftsführers

Die Begründung hierfür überzeugte das LAG in keiner Weise. Er hätte auch den im Lauf der Arbeitsunfähigkeit oder des Kündigungsschutzprozesses mit den ursprünglichen Aufgaben des Arbeitnehmers betrauten Mitarbeiter in die andere Niederlassung versetzen können. Das LAG hat in der Befragung und Diskussion mit dem Geschäftsführer zudem den nachhaltigen Eindruck gewonnen, dass dieser die angedeutete Entscheidung der Arbeitsgerichte über die Kündigung nicht nachvollziehen kann und dass er dies den Arbeitnehmer weiterhin spüren lassen wird. Dem entspricht, dass er von einem Vertrauensverlust gegenüber dem Arbeitnehmer allein deswegen ausgeht, weil dieser den Firmenlaptop nicht sofort zurückgegeben hat. Der Arbeitnehmer kann bei einer derart feindlichen Haltung des Geschäftsführers nach der Überzeugung des LAG nicht damit rechnen, dass in Zukunft eine störungsfreie Weiterarbeit und ein unbelastetes Miteinander möglich ist. Dies rechtfertigt die Auflösung auf seinen Antrag hin.

Quelle | LAG Nürnberg, Urteil vom 29.11.2022, 1 Sa 250/22

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Baurecht

Planungsrecht: Ohne wirksame Einbeziehung der VOB/B keine Kündigung bei Mängeln vor Abnahme

Von einem Planer kann erwartet werden, dass er den Wortlaut des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B (VOB/B) kennt sowie die Grundzüge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Das ist gängige Rechtsprechung zur Beratungspflicht gegenüber Auftraggebern. Dies spielte in einem aktuellen Fall des BGH eine große Rolle, in dem es um Kündigungsmöglichkeiten gegenüber ausführenden Unternehmen, die mit Mängelbeseitigungsverlangen lax umgingen.

Darum ging es

Ein Auftraggeber beauftragte einen Straßen- und Tiefbauer als Subunternehmer, Arbeiten entlang einer Stadtbahntrasse durchzuführen. Die Parteien bezogen in den Vertrag die VOB/B ein. Die Auftragssumme belief sich auf ca. drei Millionen Euro. Während der Ausführung rügte der Auftraggeber mehrfach die Qualität des verbauten Betons und verlangte unter Fristsetzungen die Beseitigung des Mangels. In späteren Mängelrügen drohte er dem Auftragnehmer, den ganzen oder einen Teil des Auftrags außerordentlich zu kündigen. Der Tiefbauer beseitigte die behaupteten Mängel nicht. Diese hätten mit einem Aufwand von ca. 6.000 Euro bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen erledigt werden können. Nach Ablauf der letzten gesetzten Frist kündigte der Auftraggeber den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

So sah es der Bundesgerichtshof

Der BGH hielt die Kündigung für unwirksam. Entscheidend dafür war, dass die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart war, sondern an verschiedenen Stellen davon abwich. In einem solchen Fall sei jede Regelung der VOB/B dahingehend zu überprüfen, ob sie mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vereinbar sei. Für den hier einschlägigen Paragrafen (§ 4 Nr. 7 S. 3 i. V. m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 S. 1 Var. 1 VOB/B) gelte das nicht. Eine Kündigung aus wichtigem Grund setze voraus, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert habe, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das sei hier nicht gegeben.

Quelle | BGH, Urteil vom 19.1.2023, VII ZR 34/20

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Fördermittelantrag: Entgangene Zuschüsse: Energieberater haftet nicht

Die Aufgabe eines Energie-Effizienz-Experten besteht bei der KfW-Förderung in der Regel darin, den Bauherrn über passende Sanierungsmaßnahmen für sein Gebäude zu beraten und die „Bestätigung zum Antrag“ bzw. später die „Bestätigung nach Durchführung“ zu erstellen. Eine Garantie, das Fördermittel zu erreichen, schuldet er nicht. Ausnahme: Es wurde vertraglich etwas anderes vereinbart. Das hat das Landgericht (LG) Bielefeld jetzt klargestellt.

Keine Fördermittel trotz Beratung

Dem Bauherrn waren beantragte Fördermittel nicht bewilligt worden. Denn eine Frist, um Unterlagen einzureichen, die einen hydraulischen Abgleich nachweisen sollten, war verstrichen. Da der Energie-Effizienz-Experte als technischer Berater lediglich eine Dienstleistung im Sinne einer fachlichen Beratung schulde, bestehe keine vertragliche Verpflichtung dahingehend, die Fristenkontrolle für den Bauherrn zu übernehmen, da der Energie-Effizienz-Experte auch nicht dafür zuständig gewesen sei, den Antrag zu stellen, so das LG.

Kein Erfolg geschuldet – nur Beratung

Das LG schloss sich damit dem Oberlandesgericht (OLG) Celle an. Dieses hatte schon entschieden: Ein Energie-Effizienz-Experte ist zum einen technischer Berater für den Bauherrn, zum anderen übt er eine Kontrollfunktion gegenüber der KfW aus. Ein Vertrag über Beratungsleistungen im Rahmen der KfW-Förderung ist kein Werkvertrag, denn der Energie-Effizienz-Experte schuldet im Hinblick auf die übernommene Beratung keinen Erfolg, sondern lediglich eine Dienstleistung im Sinne einer fachlichen Beratung. Eine Garantie, die angegebenen Fördermittel zu erlangen, schuldet er grundsätzlich nicht.

Quelle | LG Bielefeld, Urteil vom 31.1.2023, 7 O 325/21

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Architektenhonorar: Was ist „anderweitiger Erwerb“ beim gekündigten Vertrag?

Nach einer freien Kündigung des Auftraggebers können Architekten die vereinbarte Vergütung abrechnen. Sie müssen sich das anrechnen lassen, was sie infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erworben haben („anderweitiger Erwerb“). Oft ist aber umstritten, was ein solcher „anderweitiger Erwerb“ ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat dazu jetzt Klartext gesprochen.

Das müssen Architekten darlegen und beweisen

Der Vergütungsanspruch für nicht erbrachte Leistungen ermittelt sich als Differenz zwischen der für die nicht ausgeführten Leistungen vereinbarten Vergütung einerseits und ersparten Aufwendungen und anderweitigem Erwerb andererseits. Als Unternehmer müssen Architekten ihre Forderungen darlegen und zu ersparten Aufwendungen und anderweitigem Erwerb vortragen und deren Höhe beziffern. Sie müssen die vereinbarte Vergütung darlegen und darüber hinaus erklären, welche Kosten sie sich erspart haben und welchen anderweitigen Erwerb sie sich anrechnen lassen müssen.

Oberlandesgericht legt Definition von „anderweitigem Erwerb“ vor

Das OLG Naumburg definiert den „anderweitigen Erwerb“ gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) wie folgt: „Sinn und Zweck des Anspruchs nach § 649 S. 2 BGB a. F. ist es, den Unternehmer schadlos zu stellen, die Kündigung für ihn wirtschaftlich zu neutralisieren, dafür zu sorgen, dass ihm aus ihr weder Vorteile noch Nachteile erwachsen. Nach § 649 S. 2 BGB a. F. ist daher nicht jeder Erwerb anzurechnen, der durch die frei gewordenen Kapazitäten erzielt wird. Vielmehr muss der Erwerb zweifelsfrei durch die Kündigung des Bestellers verursacht sein. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung und einem Ersatzauftrag bestehen, d. h. ohne die Kündigung müsste die anderweitige Vergütung ausgeblieben sein. Dies ist nicht der Fall, wenn der Unternehmer seine Leistungskapazität auf andere bereits vorhandene Werkverträge konzentriert. Ist der Betrieb des Unternehmers in der Lage gewesen, zur gleichen Zeit neben dem gekündigten Werkvertrag auch noch andere Aufträge auszuführen, die ihm unabhängig von der Kündigung von Dritten erteilt wurden, wovon in der Regel auszugehen ist, sind die Erträge aus diesen Aufträgen nicht anzurechnen.“

Quelle | OLG Naumburg, Urteil vom 24.11.2022, 2 U 180/21

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Familien- und Erbrecht

Trennung: „Umgangsrecht“ kann es auch für einen Hund geben

Haben die Partner einer Lebensgemeinschaft zusammen einen Hund gehalten, können sie nach einer Trennung verlangen, dass jedem der Ex-Partner eine Art „Umgangsrecht“ mit dem Tier eingeräumt wird. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal jetzt entschieden. Es hat einen Mann nach der Trennung von seinem Partner dazu verurteilt, in eine „Verwaltungs- und Benutzungsregelung“ für den gemeinsam erworbenen Hund einzuwilligen.

Lebensgefährten hatten sich getrennt – der Hund blieb bei einem Partner

Der Mann aus dem Landkreis Bad Dürkheim und sein ehemaliger Lebensgefährte hatten sich während der Beziehung einen Labradorrüden angeschafft. Nach der Trennung blieb der Hund bei einem der beiden Ex-Partner. Der andere wollte sich ebenfalls um das Tier kümmern und verlangte von seinem ehemaligen Lebensgefährten einen regelmäßigen zweiwöchigen Umgang mit dem Hund. Dies wurde ihm mit der Begründung verweigert, es sei für den Hund als Rudeltier besser, wenn er ausschließlich bei einem der ehemaligen Partner bliebe. Er sei wie im Rudel die Hauptbezugsperson des Tieres und deshalb sei ihm allein das Tier zuzuweisen.

Gemeinschaftliches Eigentum

Dies sah das LG anders. Auch wenn es sich um ein Tier handele, sei der Fall nach dem Recht des gemeinschaftlichen Eigentums zu entscheiden, denn der Hund sei während der Partnerschaft gemeinsam angeschafft worden. Es müsse hier nicht zwingend eine Wahl zwischen einem der beiden Miteigentümer getroffen werden, dem der Hund zuzuweisen sei. Vielmehr stehe es beiden Miteigentümern zu, auch nach Ende der Partnerschaft an dem gemeinsamen Eigentum teilhaben zu können. Miteigentümer eines Hundes könnten daher untereinander Zustimmung zu einer „Benutzungsregelung nach billigem Ermessen“ verlangen.

Eine Regelung dergestalt, dass die beiden Miteigentümer sich abwechselnd jeweils zwei Wochen um den Hund kümmern, sei nach Ansicht des LG interessengerecht. Dass eine solche gleichberechtigte Teilhabe der Miteigentümer in Form eines „Wechselmodells“ das Tierwohl gefährde, vermochte die Kammer nicht zu erkennen.

Das Urteil ist rechtskräftig. Das LG hat hier als Berufungsgericht entschieden und die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts (AG) überwiegend bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 12.5.2023, 2 S 149/22, PM vom 30.5.2023

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Testament: Was bewirkt der Widerruf des Widerrufs?

Welche Rechtsfolgen hat der Widerruf eines Widerrufstestaments? Und ist trotz späteren Verlöbnisses oder einer Eheschließung auf die Einsetzung des Partners einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft durch Testament das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 2077 BGB) anzuwenden, wenn ein Widerruf des Einsetzungstestaments während der Ehe wiederum widerrufen wird? Mit diesen Fragen hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig im Rahmen einer Beschwerde im Erbscheinsverfahren befasst.

Das war geschehen

Der Erblasser errichtete im Jahr 1989 ein Testament, in dem er die Antragstellerin, die er später heiratete, zu seiner Erbin berief. Im Jahr 2005 schlossen sie notariell beurkundet u. a. einen Erbvertrag, in dem sie zunächst alle ihre früheren Verfügungen von Todes wegen widerriefen und wechselseitig Vermächtnisse bestimmten. Nachdem die Ehe scheiterte, schlossen die Antragstellerin und der Erblasser im Jahr 2009 u. a. erneut einen Erbvertrag. In diesem Zuge erklärten sie, dass sie alle ihre bisher gemeinsam errichteten Verfügungen von Todes wegen widerrufen, insbesondere den Erbvertrag von 2005, jedoch ihre bisher einzeln errichteten Verfügungen von Todes wegen ausdrücklich ihre Wirksamkeit behalten sollten. Nach dem Tod des Erblassers beantragte die Antragstellerin einen Erbschein als Alleinerbin.

So sieht es das OLG

Das OLG hat festgestellt: Der Widerruf eines Widerrufstestaments führt dazu, dass das ursprüngliche Testament rückwirkend wieder in Kraft tritt. Das Gericht stützt sich im Wesentlichen darauf, dass in der Kommentarliteratur die Frage der Wirkungen des Widerrufs des Widerrufstestaments unterschiedlich behandelt und „eher unklar“ formuliert wird. Da der Gesetzgeber mit dem Widerruf Wirkungen wie bei der Anfechtung habe erzeugen wollen, führe der Widerruf dazu, dass das ursprüngliche Testament rückwirkend in Kraft trete.

§ 2077 Abs. 1 BGB besagt: „Eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, ist unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tode des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Auflösung der Ehe steht es gleich, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Das Gleiche gilt, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen, und den Antrag gestellt hatte.“

Da der Anwendungsbereich dieser Vermutungsregel hier nicht erfüllt sei, könne diese Vorschrift trotz späteren Verlöbnisses oder Eheschließung auch dann nicht auf die Einsetzung des Partners einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft durch Testament angewandt werden, wenn ein Widerruf des Einsetzungstestaments während der Ehe wiederum widerrufen worden wäre.

Quelle | OLG Schleswig, Beschluss vom 30.1.2023, 3 Wx 37/22

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Mietrecht und WEG

Keine Mietminderung: Vermieter darf sich im Hof nackt sonnen

Die Miete mindern „auf Teufel komm raus“ funktioniert nicht. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat sich mit zahlreichen geltend gemachten Mietmängeln hinsichtlich einer in einem gemischt genutzten Haus liegenden Büroetage befasst. Bemerkenswert: Nach dem OLG wird durch den sich im Hof nackt sonnenden Vermieter die sog. Gebrauchstauglichkeit der Mietsache nicht beeinträchtigt. Es fehle an einer unzulässigen, gezielt sittenwidrigen Einwirkung auf das Grundstück.

Das war geschehen

Der Kläger vermietete an die Beklagte eine Büroetage in einem Gebäude im Frankfurter Westend, das zum Teil zu reinen Wohnzwecken – u.a. vom ihm selbst – genutzt wurde. Die Beklagte minderte die Miete nach knapp einjähriger Mietzeit. Mit seiner Klage begehrt der Vermieter u.a. rückständige Mieten. Das Landgericht (LG) hatte der Klage hinsichtlich der ausstehenden Mieten nach einer aufwändigen Beweisaufnahme überwiegend stattgegeben.

Mietminderung wegen Bauarbeiten gerechtfertigt…

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG nur geringfügig Erfolg. Zu Recht habe die Beklagte die Miete allerdings wegen umfangreicher Bauarbeiten in der Nachbarschaft gemindert, führte das OLG aus. Wegen der Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der Räume durch Lärm und Staubimmissionen im Umfeld des Mietobjekts habe die Beklagte für drei Monate die Miete um 15 Prozent mindern dürfen. Die Baumaßnahmen in der Nachbarschaft und damit verbundene Beeinträchtigungen seien hier als unwesentlich oder ortsüblich einzuordnen. Für die Höhe der Minderung sei wesentlich, dass einerseits keine Zugangsbeeinträchtigung für die Laufkundschaft entstanden sei, andererseits aber das Objekt in einer ruhigen Nebenstraße in einem sehr gehobenen Wohngebiet liege. Die „Ruhe und Gediegenheit“ des Umfelds sei in Form des Ambientes des Mietorts Bestandteil der vertraglichen Beschaffenheit geworden.

… aber nicht wegen „Gerümpel“ im Hausflur und Küchengerüchen...

Weitergehende Minderungsgründe bestehen nach Ansicht des OLG nicht. Soweit die Beklagte die Miete gemindert habe, da im Erdgeschossbereich „Gerümpel“ abgestellt worden sei, sei dies unbegründet. Das Verhalten der Mitbewohner sei zwar häufiger Anlass für Beanstandungen. „Da die Wohnung neben der Funktion der Unterkunft und Lebensmittelpunkt auch soziale Kontakte, individuelle Erholung und Entspannung ermöglichen soll, sind Konflikte vorprogrammiert“, so das OLG. Der Freiraum der Mitbewohner sei unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit zu werten und mit dem Gebot der Rücksichtnahme abzuwägen. Beeinträchtigungen durch abgestellte Sachen im Flur (Kinderwagen, Schuhe, Ranzen, Tüten oder Ähnliches) gingen nur in Ausnahmefällen über das als sozialadäquat hinzunehmende Maß der Beeinträchtigung hinaus. Hier sei nicht feststellbar, dass es zu einer massiven Beeinträchtigung gekommen sei.

Ohne Erfolg habe die Beklagte auch eine Minderung in Hinblick auf Küchengerüche vorgenommen. „Vor dem Hintergrund der gemischten Nutzung des Gebäudes ist auch mit sozialadäquatem Verhalten der Mitbewohner zu rechnen. Dazu gehört, dass man sich gelegentlich ein Mittagessen kocht und es gelegentlich auch riecht“, betonte das OLG. Im Rahmen des extra zur Mittagszeit durchgeführten Ortstermins seien im Treppenhaus zudem keine Küchengerüche festgestellt worden. Auch der behauptete „muffige Geruch“ sei nicht zu riechen gewesen.

… und nicht wegen Nacktheit im Hofbereich

Schließlich könne die Miete auch nicht gemindert werden, soweit sich der Kläger unstreitig nackt im Hof sonne. Rein das ästhetische Empfinden eines anderen verletzende Umstände führten grundsätzlich nicht zu einem Abwehranspruch, sofern sie sich nicht gezielt gegen den anderen richteten. Eine „grob ungehörige Handlung“ im Sinne des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (hier § 118 OWiG) liege nicht vor. Durch den sich im Hof nackt sonnenden Kläger werde die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache nicht beeinträchtigt. Es fehle an einer unzulässigen, gezielt sittenwidrigen Einwirkung auf das Grundstück. Der Ort, an dem der Kläger sich unbekleidet auf seine Liege lege, sei von den Räumlichkeiten der Beklagten aus nur dann sichtbar, wenn man sich weit aus dem Fenster herausbeuge. Dies stehe einer gezielten Einwirkung entgegen.

Soweit die Beklagte behaupte, dass der Kläger sich bereits unbekleidet durch das Treppenhaus zum Hof begebe, sodass „ein sich zufällig zu diesem Zeitpunkt auf der Treppe befindlicher Bewohner oder Besucher mit seiner Nacktheit“ konfrontiert würde, sei dies nicht nachgewiesen worden. Der Kläger habe vielmehr glaubhaft bekundet, stets einen Bademantel zu tragen, den er erst unmittelbar vor der Sonnenliege ausziehe.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.4.2023, 2 U 43/22, PM 26/23

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Verbraucherrecht

Corona-Pandemie: Vergütungsansprüche einer Hochzeits-Fotografin nach Verlegung des Hochzeitstermins

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt über einen typischen „Corona-Fall“ entschieden. Es ging um ein Paar, das die Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung verlangte. Darüber hinaus begehrte es festzustellen, dass der Fotografin keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil das Paar wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegen musste und deshalb vom Vertrag zurücktrat bzw. diesen kündigte.

Das war geschehen

Die Kläger beabsichtigten, am 1.8.2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28.10.2019 bedankte sich die Beklagte für „die Beauftragung“ und stellte für „Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)“ 1.231,70 Euro von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 Euro in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten „1. Teilbetrag“.

Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die so geplante Hochzeit durchzuführen, war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31.7.2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15.6.2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1.8.2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 Euro, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr, die bereits überwiesenen 1.231,70 Euro zurückzuzahlen und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den „Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung“.

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, die Beklagte zu verurteilen, 1.231,70 Euro und zusätzliche 309,40 Euro für außergerichtliche Kosten zu zahlen sowie festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 Euro an die Beklagte zu zahlen.

Klage blieb in allen gerichtlichen Instanzen ohne Erfolg

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Der BGH hat die Revision jedoch zurückgewiesen.

Der BGH: Das Berufungsgericht hat zu Recht die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 Euro nicht zu schulden, verneint.

Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 Metern nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Kein Rücktrittsrecht wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1.8.2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.

Hier lag eine freie Kündigung des Vertrags vor

Den von den Klägern erklärten „Rücktritt“ bzw. die „Kündigung“ des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 S. 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch (hier: § 648 S. 2 BGB) in Höhe von 2.099 Euro festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 Euro, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.

Quelle | BGH, Urteil vom 27.4.2023, VII ZR 144/22, PM 73/23

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Verkehrssicherungspflicht: Erkennbare Unebenheiten im Außenbereich der Terrasse einer Gaststätte

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat jetzt bestätigt, dass der Besucher einer im Außenbereich einer Gaststätte liegenden Terrasse, deren Belag einen rustikalen, mediterranen Eindruck vermittelt, nicht mit einer vollständig ebenen Fläche rechnen kann. Der Gastwirt sei nicht verpflichtet, einen gänzlich gefahrfreien Zustand der Terrasse herzustellen. Gäste müssten ihren Gang den erkennbaren Bedingungen der Örtlichkeiten anpassen.

Sturz beim Gaststättenbesuch

Der Kläger besuchte am frühen Abend im Sommer 2021 an einem sonnigen und hellen Tag mit seiner Lebensgefährtin die Gaststätte des Beklagten. Diese verfügt über eine Terrasse im Außenbereich, die mit Natursteinen im Polygonalverfahren belegt ist. In den Zwischenräumen der Steine befindet sich Beton. Der Steinbelag weist Unebenheiten und Fugen auf.

Nachdem der Kläger seine Bestellung aufgegeben und die Toilette aufgesucht hatte, stürzte er auf dem Rückweg von der Toilette zu seinem Tisch und verletzte sich. Er nimmt den Beklagten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch und behauptet, sich beim Sturz u.a. sechs Zähne ausgeschlagen zu haben.

Klage ohne Erfolg

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger könne sich nicht auf Schadenersatzansprüche berufen, bestätigte das OLG. Es sei bereits nicht konkret vorgetragen, aus welchen Gründen der Kläger gefallen sei. Die vom Kläger betonte grundsätzlich Fehleranfälligkeit des menschlichen Ganges, der seinen Angaben nach zu den unsichersten Fortbewegungsvorgängen unter Lebewesen gehöre, falle nicht dem Beklagten zur Last. Der Kläger habe auch keine konkreten Angaben zur Ursache des Sturzes gemacht. Insbesondere habe er weder die konkrete Örtlichkeit des Unfalls noch die Ausgestaltung des dort befindlichen Bodenbelags dargelegt.

Gäste müssen sich den örtlichen Verhältnissen anpassen

Der Beklagte habe grundsätzlich nur die Vorkehrungen treffen zu müssen, die nach den berechtigten Sicherheitserwartungen der Besucher zur Abwehr von Gefahren erforderlich gewesen seien. Diesen Anforderungen habe der Beklagte hier genügt. Er sei nicht verpflichtet gewesen, „einen schlechthin gefahrenfreien Zustand der Terrassenfläche herzustellen“, sondern habe nur solchen Gefahren entgegenwirken müssen, auf die sich der Benutzer nicht einzustellen vermag. Dabei könne grundsätzlich von den Gästen verlangt werden, dass sie sich den gegebenen Verhältnissen anpassen und die Verkehrsfläche so hinnehmen, wie sie sich ihnen erkennbar darbiete. Das Erscheinungsbild der Terrasse habe hier den Nutzern unmittelbar verdeutlicht, dass sie beim Begehen der Fläche nicht auf ein sämtliche Unebenheiten nivellierendes Geländes stoßen. Der Gang sei damit den Örtlichkeiten anzupassen gewesen.

Soweit ein Gastwirt zwar auch damit rechnen müsse, dass seine Gäste wegen des Genusses von alkoholischen Getränken oder sonstiger Umstände in ihrer Gehsicherheit beeinträchtigt sein könnten, sei weder dargetan, dass der Belag bei verminderter Aufmerksamkeit kein gefahrloses Begehen ermöglichte, noch, dass der Kläger in seiner Gefahrenkognition vermindert gewesen sei.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 6.7.2023 und Beschluss vom 18.7.2023, 11 U 33/23, PM 48/23

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Verkehrsrecht

Luxuswagenkauf: Lamborghini kann nicht gutgläubig auf einem Imbiss-Parkplatz gekauft werden

Kann man einen Lamborghini nachts um ein Uhr auf einem Imbiss-Parkplatz erwerben? Oder muss man Zweifel haben, ob es in so einer Situation mit rechten Dingen zugeht? Über einen solchen – nicht alltäglichen – Fall hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschieden.

Fahrzeug wurde gestohlen

Der Kläger aus Spanien hatte seinen Lamborghini an eine Agentur vermietet, die den Wagen weitervermietete. Nach der Mietzeit war das Fahrzeug weg. Es wurde zur Fahndung ausgeschrieben.

Der im Emsland ansässige Beklagte meldete sich auf eine Anzeige bei der Verkaufsplattform „mobile.de“, auf der das Fahrzeug angeboten wurde. Er kam in Kontakt mit zwei Brüdern, die vorgaben, das Auto für einen in Spanien lebenden Eigentümer verkaufen zu wollen. Man traf sich auf dem Parkplatz einer Spielothek in Wiesbaden, wo der Beklagte das Fahrzeug besichtigte, und verabredete die Übergabe wenige Tage später. Zuvor, so die Brüder, bräuchten sie das Fahrzeug noch für eine Hochzeitsfahrt.

Man traf sich einige Tage später auf dem Gelände einer Tankstelle in Essen. Die Brüder trafen mit mehreren Stunden Verspätung gegen 23 Uhr am verabredeten Treffpunkt ein und gaben u.a. an, in eine Polizeikontrolle geraten zu sein. Dort habe es Verzögerungen gegeben, weil noch „eine Rechnung beim Amt“ offen gewesen sei.

Kaufvertrag am Schnellrestaurant unterschrieben

Der Kaufvertrag wurde in dieser Nacht gegen 1 Uhr in einem Schnellrestaurant unterschrieben. Dem Beklagten wurde die Vorderseite einer Kopie des Personalausweises des angeblichen Eigentümers vorgelegt. Es ergaben sich auffällige Abweichungen der Schreibweise des Namens und der Adresse in dem Kaufvertrag und den Zulassungsbescheinigungen. Der Beklagte gab seinen alten Lamborghini für 60.000 Euro in Zahlung und zahlte an die Brüder weitere 70.000 Euro in bar. Er erhielt neben dem Auto die Zulassungsbescheinigungen sowie die Schlüssel. Als der Beklagte das Fahrzeug auf sich anmelden wollte, stellte sich heraus, dass dieses unterschlagen worden war.

Eigentümer verlangte Herausgabe

Der spanische Kläger verlangte nun als Eigentümer die Herausgabe des Fahrzeugs. Das Landgericht (LG) wies die Klage ab. Der Beklagte, so das LG, habe „gutgläubig“ Eigentum erworben (§ 932 BGB). Denn er habe nicht gewusst, dass der im Kaufvertrag benannte Veräußerer in Wahrheit nicht Eigentümer sei, und habe auch nicht grob fahrlässig gehandelt.

Oberlandesgericht: Grobe Fahrlässigkeit des Käufers

Das OLG sah dies nun anders: Es bewertete das Verhalten des Beklagten als grob fahrlässig. Trotz Vorlage von Original-Zulassungsbescheinigungen seien die Gesamtumstände so auffällig, dass der Beklagte habe stutzig werden müssen. Der Beklagte habe allein mit den als Vermittler auftretenden Brüdern verhandelt, ohne in Kontakt mit dem von den Brüdern benannten angeblichen Eigentümer zu treten oder sich von den Brüdern eine Vollmacht vorlegen zu lassen. Ort und Zeit des Kaufvertrags, die Nutzung des Fahrzeugs durch die Vermittler für eine Hochzeitsfeier, die fraglose Inzahlungnahme des alten Lamborghinis, die unterschiedlichen Schreibweisen der Personalien des angeblichen Eigentümers – all dies hätte den Beklagten zu weiteren Nachforschungen veranlassen müssen.

Besondere Vorsicht sei auch deshalb geboten gewesen, weil es sich um ein Luxusfahrzeug handelte, das erst wenige Tage zuvor in Deutschland zugelassen worden war. Er könne sich daher nicht auf einen gutgläubigen Erwerb berufen. Der Beklagte muss nun das Auto an den spanischen Kläger herausgeben.

Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 27.3.2023, 9 U 52/22, PM 19/23 vom 13.4.2023

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Verkehrsunfall: „Achtung Vorfahrt!“ beim Einbiegen vom Feldweg in eine Landstraße

Ein Autofahrer, der von einem Feldweg in eine Landstraße einbiegen will, muss die Vorfahrt des Verkehrs auf der Landstraße achten. Aber auch die Radfahrer auf einem parallel zur Landstraße verlaufenden Radweg, den der Autofahrer überqueren muss, haben Vorfahrt. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal jetzt klargestellt und die Klage einer Autofahrerin gegen einen Radfahrer abgewiesen.

Das war geschehen

Hintergrund war ein Verkehrsunfall. Eine Frau wollte mit ihrem Pkw aus einem Feldweg in die Landstraße einbiegen. Als sie dabei den parallel zur Landstraße verlaufenden Radweg überquerte, stieß sie mit einem von links kommenden Radfahrer zusammen. Die Frau war der Ansicht, der Radfahrer hätte ihr die Vorfahrt genommen und sei schuld an dem Unfall. Sie verklagte ihn und wollte von ihm die Schäden an ihrem Pkw ersetzt bekommen.

Radweg war eindeutig erkennbar...

Dies sah das LG anders. Da der parallel zur Landstraße verlaufende und somit „fahrbahnbegleitende“ Radweg insoweit zur Landstraße gehöre, nehme dieser Radweg auch an dessen Vorfahrtsrecht teil. Entgegen der Ansicht der Pkw-Fahrerin sei die Zugehörigkeit des Radwegs zu der Landstraße durch dessen Beschaffenheit und seinem Verlauf klar erkennbar und eindeutig.

...unabhängig davon, dass er weggeleitet wurde

Unerheblich sei es, dass er durch eine schmale bewachsene Fläche von der Straße getrennt sei. Auch wenn der Radweg in einiger Entfernung von der Landstraße weggeleitet würde, rechtfertige dies keine andere Beurteilung. Es komme nur auf die örtlichen Verhältnisse am Unfallort an.

Das Urteil ist rechtskräftig. Das LG hat hier als Berufungsgericht entschieden und die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts (AG) vollumfänglich bestätigt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.3.2023, 2 S 94/22, PM vom 28.4.2023

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Parkverstoß: Kosten eines nicht beendeten Abschleppvorgangs

Das Verwaltungsgericht (VG) München hat sich mit den Kosten eines abgebrochenen Abschleppvorgangs befasst. Der Betroffene hatte seinen Pkw auf einem für Behinderte vorgesehenen Parkplatz abgestellt. Zum Abschleppen war es aber nicht mehr gekommen, weil der Betroffene den Parkplatz noch rechtzeitig frei gemacht hatte.

Das VG München bejaht eine Prüfpflicht des betroffenen Verkehrsteilnehmers. Dem Verkehrsteilnehmer im ruhenden Verkehr ist es danach zuzumuten, sich nach etwa vorhandenen Verkehrszeichen sorgfältig umzusehen und eingehend zu prüfen, ob er sein Fahrzeug an der von ihm gewählten Stelle abstellen darf. Das hatte der Betroffene hier versäumt. Er musste die im Zusammenhang mit den Abschleppkosten entstandenen Gebühren und Auslagen zahlen.

Quelle | VG München, Urteil vom 13.3.2023, M 23 K 21.5332

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Schadenersatz: Versicherer erstattete vorgerichtlich 100 Prozent: Anerkenntnis

Der Versicherer erstattete vorgerichtlich die geltend gemachten Positionen ohne Vorbehalt zur Haftung dem Grunde nach auf der Basis hundertprozentiger Haftung. Allerdings kürzte er Positionen der Höhe nach. Die Differenz hatte der Geschädigte eingeklagt. Nun erhob der Versicherer auch Einwendungen zur Haftung der Höhe nach. Doch das ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig nicht mehr möglich.

Hier liegt keine unverbindliche Mitteilung vor...

Das Gericht argumentierte: Die Auslegung dieses Schreibens ergibt, dass die Beklagte keinerlei Einwände zur vollen Haftung dem Grunde nach hatte. Es ist unerheblich, dass in dem Schreiben nicht ausdrücklich von einem Anerkenntnis die Rede ist. Teilt die dem Grunde nach einstandspflichtige gesetzliche Haftpflichtversicherung dem Geschädigten nach vorangegangener Korrespondenz, in der sie auch die Vorlage von Urkunden und Belegen zwecks Überprüfung der vom Geschädigten geltend gemachten Schadenspositionen verlangte, mit, sie werde Beträge für einzeln aufgeführte Positionen zahlen, gilt: Es handelt sich bei dieser Mitteilung um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis und nicht lediglich um eine ohne Rechtsbindungswillen abgegebene unverbindliche Mitteilung.

... sondern ein deklatorisches Schuldanerkenntnis

Und es ging – geschädigtenfreundlich – weiter so. Das Gericht hob nämlich hervor: Zu Recht sieht die Geschädigte in dem Schreiben des Haftpflichtversicherers ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis. Die darin enthaltene konkrete Abrechnung diverser Forderungspositionen unter Nennung von konkreten Zahlungsbeträgen beinhaltet zusammen mit dem ausdrücklichen Hinweis, die aufaddierte Gesamtsumme zu überweisen, eindeutig den erkennbaren Willen, die vorherige Diskussion über die Höhe der einzelnen geltend gemachten Forderungen abzuschließen und insoweit auf weitere Einwendungen zu verzichten. Jedes andere Verständnis hätte für den reibungslosen Ablauf der Regulierung von Haftpflichtschäden fatale Folgen.

Quelle | OLG Schleswig, Hinweis vom 7.6.2023, 7 U 15/23

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Apothekergesetz: Darlehensverträge mit einem Apotheker als Darlehensnehmer

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun eine wichtige Frage zur Wirksamkeit von Darlehensverträgen entschieden, die zwischen dem Inhaber einer Apotheke und einer Gesellschaft geschlossen worden sind, die verschiedene Dienstleistungen für diese Apotheke erbringt und die sich ein bedingungsloses Optionsrecht zum Erwerb der Apotheke hat versprechen lassen.

Die Klägerin bietet verschiedene Dienstleistungen für Apotheken an. Der Beklagte ist Apotheker. Die Parteien schlossen diverse Darlehensverträge über eine Gesamtsumme von fast zwei Millionen Euro. Zudem hatte die Klägerin eine Erwerbsoption an den Apotheken des Beklagten aus einem anderen Rechtsverhältnis. Die Parteien streiten über die Rückgewähr der ausgereichten Darlehen.

Fraglich war, ob die Darlehensverträge wirksam sind. „Ja“, sagt der BGH. Ein Verstoß gegen das Apothekergesetz (hier: § 7 S. 1 ApoG) sei nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift verpflichtet die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. Regelungen, die der Klägerin eine Einflussnahme auf die Leitung der Apotheke ermöglichen würden, finden sich in den Darlehensverträgen nicht.

Die Darlehen und die Rückzahlungspflichten des Apothekers führen zu keiner Beherrschung des Beklagten durch die Klägerin aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit, so der BGH. Die finanzielle Belastung des Apothekers hierdurch sei zwar erheblich. Die Höhe der Forderung relativiere sich aber im Hinblick auf den Umsatz des Apothekers (2018: rund 24.000.000 Euro).

Auch die Gesamtbetrachtung der vertraglichen Rechtsbeziehungen führe zu keinem anderen Ergebnis.

Quelle | BGH, Urteil vom 4.5.2023, IX ZR 157/21

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Jahreswechsel: Modernisierung des Personengesellschaftsrechts: GbR-Neuregelungen gelten ab 2024

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) wurde das Recht der Personengesellschaften reformiert. Insbesondere für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) wurden zahlreiche Bestimmungen geändert oder neu eingefügt. Das Gesetz wurde bereits Mitte 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet, es tritt aber „erst“ zum 1.1.2024 in Kraft. Daher sollte in den nächsten Monaten geprüft werden, ob und in welchem Umfang Handlungsbedarf besteht.

Rechtsfähigkeit

Die Rechtsfähigkeit der als Außengesellschaft auftretenden GbR ist seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2001 anerkannt. Die neu gefassten Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier §§ 705 ff. BGB) übernehmen dies und gehen daher von der Rechtsfähigkeit der GbR aus.

Beachten Sie | Von der rechtsfähigen GbR ist die nicht rechtsfähige GbR abzugrenzen. Für diese reinen Innengesellschaften enthalten die §§ 740 ff. BGB spezielle Regelungen.

Gesellschaftsregister

Für rechtsfähige GbR wurde mit dem Gesellschaftsregister ein eigenes öffentliches Verzeichnis geschaffen (vgl. hierzu §§ 707 bis 707d BGB). Dieses Register kann von jedermann eingesehen werden. Es beinhaltet Angaben zur Gesellschaft, zu den Gesellschaftern und zur Vertretungsbefugnis der Gesellschafter.

Beachten Sie | Die Eintragung in das Gesellschaftsregister ist grundsätzlich freiwillig. Insbesondere hat die Eintragung nichts mit der Frage der Rechtsfähigkeit zu tun, das heißt, eine rechtsfähige GbR kann auch dann bestehen, wenn sie nicht in das Gesellschaftsregister eingetragen ist.

Jedoch ist die Registereintragung Voraussetzung für die wirksame Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte – nämlich den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an Kapitalgesellschaften sowie den Erwerb von Grundbesitz und von Immaterialgüterrechten, wenn diese in öffentlichen Registern eingetragen sind (z. B. Marken- oder Patentrechte).

Innenverhältnis

Hinsichtlich des Innenverhältnisses der GbR hat die IHK Köln folgende Punkte zusammengefasst (abrufbar unter www.iww.de/s8214):

Bei allen Neuerungen bleiben aber auch viele Grundsätze unverändert, z. B. haften Gesellschafter weiterhin gesamtschuldnerisch.

Beachten Sie | Die IHK Köln gibt auf ihrer Website einen Überblick über die Regelungsbereiche mit weiterführenden Links.

Quelle | Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), BGBl I 2021, S. 3436;

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Berechnung der Verzugszinsen

Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten.

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2023 beträgt 3,12 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht /  Basiszinssätze

Zeitraum Zinssatz
01.01.2023 bis 30.06.2023 1,62 Prozent
01.07.2022 bis 31.12.2022 -0,88 Prozent
01.01.2022 bis 30.06.2022 -0,88 Prozent
01.07.2021 bis 31.12.2021 -0,88 Prozent
01.01.2021 bis 30.06.2021 -0,88 Prozent
01.07.2020 bis 31.12.2020 -0,88 Prozent
01.01.2020 bis 30.06.2020 -0,88 Prozent
01.07.2019 bis 31.12.2019 -0,88 Prozent
01.01.2019 bis 30.06.2019 -0,88 Prozent
01.07.2018 bis 31.12.2018 -0,88 Prozent
01.01.2018 bis 30.06.2018 -0,88 Prozent
01.07.2017 bis 31.12.2017 -0,88 Prozent
01.01.2017 bis 30.06.2017 -0,88 Prozent
01.07.2016 bis 31.12.2016 -0,88 Prozent
01.01.2016 bis 30.06.2016 -0,83 Prozent
01.07.2015 bis 31.12.2015 -0,83 Prozent
01.01.2015 bis 30.06.2015 -0,83 Prozent
01.07.2014 bis 31.12.2014 -0,73 Prozent
01.01.2014 bis 30.06.2014 -0,63 Prozent
01.07.2013 bis 31.12.2013 -0,38 Prozent
01.01.2013 bis 30.06.2013 -0,13 Prozent
01.07.2012 bis 31.12.2012 0,12 Prozent
01.01.2012 bis 30.06.2012 0,12 Prozent
01.07.2011 bis 31.12.2011 0,37 Prozent
01.01.2011 bis 30.06.2011 0,12 Prozent
01.07 2010 bis 31.12.2010 0,12 Prozent